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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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verzog das Gesicht.
Dort gibt es keine Sicherheit
, dachte er.
Nicht für mich. Nicht mehr. Ulfger wird mich unablässig jagen.
    Er ließ den Blick über die Küste wandern, die sich endlose Kilometer weit erstreckte und schließlich im Wintergrau verschwand – eine Menschenwelt.
Was hat sie mir zu bieten?
, fragteer sich und schüttelte einmal mehr grimmig den Kopf.
Den Tod oder bestenfalls ein Leben in einem verborgenen Loch, wie bei Goll
. Peter hielt die Tränen zurück.
Gibt es keinen Platz für mich?
Wütend wischte er sich die Augen.
Irgendwo muss ich hin, zumindest für eine Weile. Vielleicht ist es Ulfger irgendwann leid, mich zu jagen, und ich kann zurückkehren. Vielleicht, aber nicht jetzt, nicht heute
.
    Peter trat über den Kamm, spürte ein schmerzhaftes Ziehen im Herzen und blieb stehen. Das war
sie
, die Dame. Selbst hier konnte er sie spüren. Es war, als wäre sie ein Teil seiner Seele, und der Gedanke daran, sie nie wiederzusehen, war beinahe unerträglich. »Ich komme wieder.«
Und wenn ich dafür Ulfger töten muss, ich werde eine Möglichkeit finden
.
    Er bewegte sich landeinwärts, und ein weitläufiges Tal tat sich vor ihm auf. Peter bemerkte einen verräterischen Rauchfaden in der Tiefe und konnte gerade so ein bestelltes Feld und eine Ansammlung von Gebäuden ausmachen. Klammheimlich überkamen ihn die alten Ängste. Er hatte die Laute der Männer und ihrer Hunde, die ihn durch den Wald gejagt hatten, noch im Ohr. Die Eindringlichkeit der alten Erinnerungen überraschte ihn. Er unterdrückte ein Schaudern, holte tief Luft und nahm die Schultern zurück. »Die sollen sich lieber vor mir in Acht nehmen«, erklärte er. »Ich bin ein Geschöpf des Feenreichs. Ein Schatten in der Nacht. Ich werde ihnen im Schlaf die Kehlen aufschlitzen.«
    Er griff an seinen Gürtel, und ihm fiel wieder ein, dass er nicht einmal mehr ein Messer hatte und dass die Welt der Menschen voller Wölfe, Bären und Wildkatzen war. Er presste die Lippen fest aufeinander und machte sich auf den Weg ins Tal.
    Als er schließlich auf die Straße stieß, wurden die Schatten bereits länger. Die Erde war von frischen Hufabdrücken aufgewühlt, von zahlreichen Hufabdrücken, und Peter hörte in Gedanken Tanngnost, der ihn vor seiner eigenen Narrheit warnte.Doch Peter folgte der Straße, wobei er sich in den Büschen hielt und lautlos von Baum zu Baum huschte, als wolle er sich an eine Wildfee heranschleichen. Er roch Rauch, und dann stieß er auf die Leiche.
    Es war eine junge Frau. Sie lag auf dem Rücken im Graben, und die zerfetzten Überreste ihres Kleids waren in den Schlamm getreten. Ihre Beine waren weit gespreizt, und die schreckliche Wunde zwischen ihren Beinen bot sich blutverkrustet allen Blicken dar. Tiefe Schnitte durchzogen ihre kleinen Brüste, und dunkle Blutergüsse hoben sich von der bleichen Haut ihres Halses ab.
    Peter biss die Zähne zusammen und starrte ihr in die starren Augen. Bei näherem Hinsehen erkannte er, dass sie kaum älter als ein Kind war. Er fragte sich, was für Spiele sie gerne gespielt hatte, fragte sich, was ein Kind tun konnte, um so einen Tod zu verdienen. Peter spürte, wie sein Entsetzen erst Wut und dann Hass wich. Er erinnerte sich wieder, warum er niemals hatte erwachsen, warum er niemals zu einem von
ihnen
hatte werden wollen.
    Die Strahlen der späten Nachmittagssonne schienen nur noch knapp über die Tannenwipfel, und die Schatten wurden länger. Peter ließ das Mädchen hinter sich und folgte weiter der Straße.
    Als Nächstes stieß er auf die Leiche eines Mannes, der an einem Baum hing. Er hatte schwere Verbrennungen, und eine Krähe pickte an dem verkohlten Fleisch, das von seiner Wange abstand. Um den Hals des Mannes hing ein Schild, auf das ein weißes Kreuz gemalt war. An seine Füße waren die Köpfe von einer Frau und zwei Kindern gebunden. Von ihren Körpern war nichts zu sehen.
    Peter war nun in Sichtweite des Dorfs, dessen graue Formen er in den länger werdenden Schatten gerade so ausmachen konnte. Der Gestank nach beißendem Rauch erfüllte die Luft.
    Er stieß auf einen Mann, der mit eingeschlagenem Schädel mitten auf der Straße lag. Sein blondes Haar war blutverklebt, und er hielt noch immer einen Speer umklammert. Peter ging neben ihm in die Hocke, löste den Speer aus seinen steifen Fingern und zog ihm das Messer aus dem Gürtel. Auf der anderen Straßenseite lag eine verbrannte Weide, und in ihrer Mitte befand sich ein rauchender Haufen toter Leiber. Peter

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