Der Kinderdieb
irgendeinem Anzeichen dafür, dass es Sekeu gut ging.
Es dauert zu lange
, dachte er.
Vielleicht ist die Dame zu geschwächt?
Ihm kam ein schrecklicher Gedanke.
Ist es vielleicht zu viel für sie? Könnte es sie umbringen?
Er fragte sich, ob jemand in den See tauchen und die beiden suchen sollte, bevor es zu spät war.
Da brach die Dame durch die Wasseroberfläche, und Peter war entsetzt, als er sie sah. Ihre Haut war grau und beinahe durchscheinend geworden, sodass man jede einzelne Ader darunter erkennen konnte.
»Nimm sie«, keuchte die Dame, während sie angestrengt Sekeus Kopf über Wasser hielt.
Peter platschte durchs Wasser und zog Sekeu im selben Moment an sich, in dem die Dame wieder unterging. Er zögerte. Wusste nicht, was er tun sollte.
»Keine Sorge, Peter«, sagte Tanngnost. »Das Wasser ist ihr Element. Der Teich ist derzeit der beste Ort, an dem sie sein kann.« Doch auch der alte Troll wirkte besorgt.
Dann hörte der Nebel auf zu leuchten, und das Wasser wurde wieder trüb. Peter hätte wahrscheinlich ewig dort gestanden, wenn Sekeu nicht ein Keuchen von sich gegeben hätte. Sofort brachte er sie ans Ufer. Blutrippe und Drael eilten ihm zu Hilfe und legten sie ins Gras. Der Verband an ihrem Bein war verschwunden. Die Wunde war noch zu sehen, ein langer, tiefer Schnitt, der jedoch weder blutete noch gerötet war. Es sah aus, als verheilte es gut, und Sekeus Gesicht hatte wieder Farbe angenommen.
Sekeu spie einen Mundvoll Wasser aus und hustete, dann hob sie flatternd die Lider und lächelte schwach. »Ich habe die Mondmutter und die Sterne gesehen. Das war wunderschön.«
Nick stand im Schatten und beobachtete die Dame. Sie saß in sich zusammengesunken auf ihrem Thron und ließ sich von den Blumen und Ranken umarmen, während sie dem nicht enden wollenden Redeschwall Tanngnosts lauschte. Peter stand an ihrer Seite.
Er scharwenzelt um sie herum wie ein kleines Kind
, dachte Nick. Ihre Haut hatte wieder eine gesündere Farbe angenommen, doch sie wirkte noch immer schwach und ausgelaugt, abgesehen von ihren Augen, die lebendig und durchdringend waren – die Augen einer Göttin. Sie jagten Nick Angst ein, und er achtete sorgfältig darauf, ihren Blick zu meiden.
Ein Lachen zerstörte seine Konzentration. Die Teufel erforschten den Garten und pflückten Nüsse und Früchte. Die Dame hatte darauf bestanden, dass sie sich satt aßen und so viel wie möglich für ihre Vorräte sammelten. Während die Teufel sich Beeren in die saftverschmierten Münder stopften, scharrten die Barghests Pilze und Würmer unter Steinen und Baumstämmenhervor und bellten und jaulten einander dabei an. Ein kleines weißes Kaninchen huschte vorbei, dicht gefolgt von den drei Schwestern, die es kichernd ins Gebüsch jagten. Sekeu saß am Ufer. Sie sah noch immer geschwächt aus, aber inzwischen hielt sie sich allein aufrecht und aß von einer Traube Weinbeeren, die Blutrippe ihr geholt hatte.
Die Feen flitzten umher, sammelten armeweise Blütenblätter, schütteten sie über den Barghests aus und kieksten und kicherten über das Knurren und Brummen der Tiere. Als Nick die fröhlichen Gesichter sah und das Gelächter hörte, loderte erneut das Feuer in seinen Eingeweiden auf.
Ach, wie scheißherzallerliebst. Wie scheißzauberhaft.
Sein Herz pochte, und das heiße schwarze Blut pulsierte ihm in den Ohren. Der Schmerz war überwältigend, als triebe ihm jemand einen Nagel ins Gehirn. Sie war es, die Dame. Sie machte das.
Töte sie
, krähte der Fremde in seinem Kopf. Nick stritt nicht mehr mit ihm, gab ihm keine Widerworte mehr. Er, der Fremde, sein inneres Selbst, teilte ein und dasselbe brennende schwarze Blut mit ihm, und sie beide wollten, dass der Schmerz aufhörte.
Nick löste das Messer von seinem Gürtel und schob sich auf die Dame zu. Er hielt sich sorgfältig im Schatten, doch es achtete ohnehin niemand auf ihn.
Elende Vollidioten
, dachte er.
Die sind viel zu beschäftigt damit, sich die Mäuler vollzustopfen und einen Heidenspaß zu haben.
Als der Schmerz so schlimm wurde, dass sein Gesichtsfeld am Rande verschwamm, musste er sich an der Rückenlehne des Throns festhalten, um nicht umzukippen. Von der Seite konnte er die elegante Halsbeuge der Dame sehen.
Er umfasste seine Waffe fester und stellte sich vor, wie gut es sich anfühlen würde, die Klinge in ihr weiches Fleisch zu bohren.
Ja
, dachte er,
mach endlich, dass der Schmerz aufhört. Dann wird auch der Nebel verschwinden. Dieser ganze schreckliche
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