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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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ergreifen. Tränenströmten ihm übers Gesicht, als sein Arm zu zittern anfing, dann entrang sich seinen Lippen ein erbärmliches Heulen, er riss die Hand weg und presste sie gegen die Brust.
    Er sackte auf dem Steinboden zusammen und wiegte seine Hand, als wäre sie ein kleines Kind. »Warum hast du mich zurückgelassen, Vater?«
    Dann hörte er es, das Gelächter, das ihn von allen Seiten umgab und von den Wänden widerhallte. Sie lachten ihn aus, sein Vater, die Könige, sie alle lachten ihn aus. Er presste sich beide Hände auf die Ohren, doch er hörte das Lachen trotzdem, lauter sogar, als wäre es in seinem Kopf.
    Er stieß einen schwachen Schrei aus und bewegte sich halb kriechend, halb stolpernd zu dem großen, offenen Fenster. Er prallte gegen die Brüstung, kippte nach vorne und konnte sich gerade noch fangen. Einen Moment lang hing er in der Schwebe, starrte in die schwindelerregende Tiefe hinab und erwog, einfach loszulassen.
Wie süß es doch wäre, all diesen Torturen ein Ende zu bereiten.
Vielleicht wäre er tatsächlich gesprungen, doch da erregte etwas seine Aufmerksamkeit, etwas, das das Gelächter verstummen ließ und sein Blut zum Kochen brachte. Dort, weit unten, marschierte der Kinderdieb höchstpersönlich über den Hof, als sei er Herr über all dies, und hinter ihm folgte seine Schar von Verrätern und Lausebengeln.
    Ulfgers Knie gaben nach, und er setzte sich schwer auf den Fenstersims. Sie waren bei der Dame gewesen.
Nein
, dachte er,
hier geht noch mehr vor.
Irgendwie hatten sie sie aufgeweckt. Da es dem Mädchen nun besser ging, bestand daran kein Zweifel. Als er sie zuvor gesehen hatte, war sie dem Tode nahe gewesen. Nur die Dame hatte sie retten können. Ulfger stellte fest, dass Peters Gefolge Körbe und Säcke voller Früchte bei sich trug.
    »Diebe, ihr sollt brennen«, zischte er. »Ihr habt den Hort befleckt. Das Herz Avalons entweiht. Und Modron hat euch dabei geholfen. Damit hat sie Avallach verraten.«
    Ulfger stapfte zum Schiff zurück. Er starrte seinem Vater finster ins Gesicht, in die tiefen, dunklen Höhlen, in seine grimmige Totenfratze. Ulfgers Fratze war nicht weniger grimmig.
    »Du, du hast diesen Kümmerling auch bevorzugt. Du hast ihn gerufen, damit er in der Schlacht an deiner Seite kämpft, obwohl du es mir versagt hast. Deinem eigenen Sohn hast du es versagt? Wie kann er würdig sein, wenn ich es nicht bin? Wie? Wie, du abscheuliches Ungeheuer? Sag es mir!
SAG ES MIR!
« Knurrend streckte Ulfger die Hand aus, packte das Schwert und entriss es dem Griff des Gehörnten. Er spürte den Schmerz der kleinen, spitzen Dornen, die sich in seine Handfläche gruben. Die Stiche brannten.
»MACH SCHON!«,
brüllte er. »Verbrenne mich! Wenn du es wagst! Aber nichts wird mich von meiner Pflicht abhalten, Avallach zu rächen.
NICHTS!«
    Die Hitze strömte weiter in seinen Leib, aber sie brannte nicht. Das gebrochene Schwert lag ihm plötzlich leicht in der Hand, und ein Gefühl der Macht überkam ihn. Er spürte, wie seine Brust schwoll, als die pulsierende Hitze ihm durch Herz, Adern und Muskeln rann. »Siehst du, Vater. Ich bin würdig. Avallach ehrt mich!
MICH!
«
    Ulfger packte den Helm beim Geweih, riss ihn dem Gehörnten vom Schädel und setzte ihn sich auf den Kopf. Durch die schrägen Augenschlitze starrte er auf seinen Vater, auf die zertrümmerten Überreste des einstmals mächtigen Kriegsherrn. Er hörte Gelächter, doch diesmal war es sein eigenes. Der Schädel des Gehörnten prallte auf die Planken und erwiderte Ulfgers Blick traurig.
    Wind kam auf und blies Knochenstaub über den Boden. Ulfger spürte, wie seine Sinne erwachten.
Was hat das zu bedeuten?
, fragte er sich und begriff, dass er das Leben um sich herum spüren konnte: zwei Rehe unten im Wald, ein Feenschwarm, der zur Abendruhe herabflatterte, und …
sie
. Er konnte
sie
spüren,Peter und die anderen. Er spürte ihre Lebensgeister, ihre Gefühle, ihre Freuden, ihre Aufregung, ihre …
Angst
. Auf einmal begriff er, dass er sie auch berühren konnte, nicht körperlich, sondern mit seinen Gedanken.
    Er grinste. »Kinderdieb, dafür wirst du bezahlen. Du wirst am eigenen Leib erfahren, was es heißt, zu leiden und alles zu verlieren, was du liebst.«
     
    Peter fühlte sich wie in einem Traum, als berührten seine Füße kaum den Boden, während sie durch den Wald der Dame wanderten. Er konnte kaum glauben, was heute alles geschehen war. Zuerst hatten sie die Fleischfresser zurückgetrieben und

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