Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
Vom Netzwerk:
sieben Elfenkönigen in ihren sieben ringförmig aufgestellten Steinsarkophagen vor sich hin. In der Mitte des Kreises stand ein Langschiff. Finster starrte er auf die toten Könige und hob dann langsam den Blick, bis er schließlich aufs Deck sehen konnte. Das Langschiff maß fast sieben Meter. Am Bug erhob sich ein grimmiger Drachenkopf als Galionsfigur, dessen rubinrote Augen aus dem größten Fenster starrten. Das Schiff sah aus, als könnte es jeden Moment in die tiefhängenden Wolken davonsegeln.
    Man hatte das Schiff gebaut, um es in Brand zu stecken und auf die See hinaustreiben zu lassen, damit es den Gehörnten in die Anderwelt brachte, zu Avallach. Doch Ulfger hatte es nicht gestattet. Er hatte die Elfen gezwungen, das Schiff mitsamt demGehörnten hierherzubringen. Er würde es dem Gehörnten nicht gestatten, ihn zu verlassen, solange es in Avalon noch Fleischfresser gab.
    »Ich bin immer noch hier, Vater«, sagte Ulfger mit bebender, beschwichtigender Stimme. Er trat langsam näher. »Sie haben dich verraten. Sie alle. Aber
ich
nicht. Ich habe mich an meinen Schwur erinnert. Nur ich bin deines Segens würdig.« Er stützte sich schwer auf eines der Gräber und musterte das Gesicht des Elfenkönigs, das als Relief in den Sarkophagdeckel gehauen war. Mit zitternder Hand fuhr er die edlen Züge nach.
    »Verräter«, fauchte er. »Allesamt …
Verräter!
«
    Er verzog die Lippen zu einem abschätzigen Grinsen und kratzte über die Augen des Elfenkönigs, versuchte wütend, die Fingernägel in sie hineinzubohren, doch dem Marmorblock konnte er nichts anhaben. Ulfger hob seine Axt und ließ ihr stumpfes Ende mit einem gewaltigen Schlag niedersausen, der das Gesicht zerschmetterte und den Sarkophagdeckel aufknackte. Dann wischte er den Deckel zu Boden und starrte in die leeren Augenhöhlen des toten Königs.
    »Du wagst es, mich so anzustarren?«
    Ulfgers Gesicht verzog sich zu einer Fratze des Zorns. Er hob den Schädel aus seiner Einfassung, schmetterte ihn auf den Stein und zermahlte die Knochen unter seinem Absatz, bis nichts als Staub und Zähne übrig war.
    Dann wirbelte er herum und ließ die Axt auf das nächste Grab niedersausen, und danach auf noch eins und noch eins. Er zertrümmerte die Sarkophage, trampelte auf den Leichen herum und zerstreute sie, bis die Halle voller vermoderter Gewänder, Roben, Rüstungsteile und zerfallender Knochen war. Er stolperte über den ledrigen Leichnam irgendeines uralten Herrschers und fiel der Länge nach in den Dreck. Keuchend lag er auf dem Rücken. Eine dünne Schicht Knochenstaub bedeckte seine schweißverklebte Haut. Sein Blick schoss wild umher,bis er schließlich bei dem Schiff verharrte. Seine Lippen begannen zu zittern.
    »Ich bin kein Feigling.« Tränen kullerten ihm über die Wangen und zogen dunkle Spuren durch den Knochenstaub. »Ich bin kein Feigling. Es war nicht meine Entscheidung, zurückzubleiben. Du hast mich schwören lassen, Vater. Hast du das vergessen? Niemand hat lauter nach Krieg geschrien als ich!«
    Ulfger rollte sich auf den Bauch und kroch durch die Knochen zum Schiff. Er bekam die Reling zu fassen, zog sich hoch, hielt sich an der Bordwand fest und starrte dem Gehörnten wütend ins Gesicht.
    Eine grimmige Totenfratze blickte Ulfger entgegen. Der Gehörnte lag in ein dickes Elchfell gehüllt, und seine ausgedörrte, ledrige Haut spannte sich straff über den Knochen. Ineinander verhedderte Ketten aus Hauern und Bronzeringen hingen ihm um den Hals. Die gebrochene Klinge Caliburns lag auf seiner Brust, im Griff seiner riesigen Knochenhände. Den gehörnten Helm hatte man ihm tief ins Gesicht gezogen, und dunkle Höhlen spähten aus den schrägen Augenschlitzen hervor. Der Blick der dunklen Löcher durchbohrte Ulfger anklagend.
    »Hörst du mich? Habe ich mich nicht als würdig erwiesen? Nur ich stehe noch … nur ich verteidige noch den Baum.«
    Die dunklen Augenhöhlen verspotteten ihn mit ihrem Schweigen.
    Ulfgers Blick fiel auf das Schwert, und ein höhnisches Grinsen trat auf sein Gesicht. »Ich
bin
würdig, Vater«, flüsterte er und streckte langsam die Hand aus, bis sie direkt über dem Knauf war. Er starrte auf die winzigen, scharfen Dornen am Griff, die Dornen, die sich in seine Hand bohren, ihn vergiften und von innen heraus verbrennen würden, wenn er unwürdig war. Seine Hand begann zu zittern. »Ich …
bin
… würdig«, zischte er mit zusammengebissenen Zähnen und wollte seine Hand an den Knauf zwingen und das Schwert

Weitere Kostenlose Bücher