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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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Druck hinter seinen Augäpfeln wurde immer stärker. »Ich reiß euch das Fleisch von den Knochen.«
Ja
, sagte der Fremde in ihm.
Tu es! Jetzt gleich! Dann verschwindet der Schmerz. Tu es einfach. Auf der Stelle.
In diesem Augenblick glaubte Nick dem Fremden ehrlich. Er war überzeugt davon,dass der Schmerz verschwinden würde, wenn er den Barghest tötete, er spürte es tief in seinem Innern.
    Ihr Trupp bog um eine Ecke, und Nick sah sich einem Dutzend hoher, schmaler Wasserfälle gegenüber, deren silbriges Nass an einer makellos weißen Bergflanke hinabströmte. Er legte den Kopf in den Nacken, konnte jedoch das obere Ende der Wasserfälle nicht ausmachen. Es sah aus, als würden sie direkt aus den tiefhängenden Wolken herabregnen. Der Dunst, der von ihnen aufstieg, war kühl und lindernd und roch nach Frühling. Nick atmete tief ein und hatte das Gefühl, dass ihm eine Atempause gewährt wurde, in der er vor dem Fremden, diesem Ich in ihm drin, sicher war. Einen Moment lang stand er einfach nur da und gab sich ganz dem wunderschönen Anblick des herabströmenden Wassers hin.
    Der Elf führte sie zu einem kleineren Wasserfall, jenem, der am weitesten von ihnen entfernt lag. Auf einem Sims verlief ein kaum sichtbarer Pfad, der hinter dem Vorhang verschwand. Das Wasser stürzte mit solcher Wucht herab, dass sie ganz offensichtlich nicht weiter konnten, doch der alte Elf trat einfach hindurch und war nicht mehr zu sehen.
    Peter zögerte einen Augenblick, dann folgte er ihm. Einer nach dem anderen taten sie es ihm nach, bis die Reihe an Nick war. Der Junge erkannte, dass das Ganze kein fauler Zauber war. Hinter dem Wasservorhang war gerade genug Platz, um sich durchzuschieben. Trotzdem war ihm nicht besonders wohl bei dem Gedanken, einfach blind in die dunstigen Schatten zu treten. Nick holte tief Luft, ging hinein und fand sich in einem kurzen Tunnel wieder, dessen Wände smaragdgrün wie die See schimmerten.
    Der Tunnel führte in eine große Kaverne, die zum Himmel hin offen war. Zu allen Seiten ragten zerklüftete Felswände auf. Breite, schimmernde Goldadern durchzogen das weiße Gestein und tauchten die Kaverne in einen sanften goldenen Schein.Vor Nick erstreckte sich ein prachtvoller Paradiesgarten zwischen den Felswänden, der mindestens die Ausmaße eines Fußballfelds hatte.
    Die Teufel, die Barghests und selbst die Elfen starrten mit aufgerissenen Augen auf den wundersamen Anblick, der sich ihnen darbot.
    »Der Hort«, sagte Tanngnost.
    »Da sind Häschen«, stellte eine der Hexentöchter fest.
    »Liebe Güte. So viele Häschen«, sagte die zweite.
    »Lecker schmecker«, fügte die dritte hinzu.
     
    Nick verschlug es den Atem. Vor ihm lag ein kreisrunder Teich, auf dessen spiegelnder Oberfläche sich kleine Wellen kräuselten und an dessen Ufern winzige Feenwesen, kaum größer als Bienen, umhertanzten. Ein Apfelbaum mit weißer Rinde und weißen Blättern stand auf einer kleinen Insel inmitten des Teichs und bildete das Herzstück des Gartens. Leuchtend rote Äpfel hingen von seinen schlanken Ästen, und seine Blätter glänzten.
    »Der Baum Avallachs«, flüsterte Peter.
    »Ja«, sagte Tanngnost, und selbst er klang ehrfürchtig. »Das Herz Avalons.«
    Ein Vogelruf lenkte Nicks Aufmerksamkeit von dem Baum ab, und er ließ den Rest des Gartens auf sich einwirken. Der Teich wurde von Dutzenden von Bächen gespeist, die sprudelnd und gurgelnd über glatte, kristallklare Kiesel strömten. Die Wiesen waren mit wogendem Gras und Klee bewachsen und leuchteten in so intensiven Grün- und Blautönen, als wären sie gemalt. Wein und Efeu hingen üppig von fein gearbeiteten Rankgittern und säumten die Vorsprünge und Abhänge, die den Hort umgaben.
    Überall wuchsen Wildblumenfelder und umspülten Steine und Bäume wie Wellenschaum auf dem Ozean. Mächtige, moosbewachseneMenhire neigten sich schwer zu den Seiten. Ihre verwitterten, pockennarbigen Oberflächen waren mit Runen und Ritzungen bedeckt, die grimmige Gesichter zeigten. Über ihnen flogen hell angemalte Vögel und dazwischen allerlei Wichte, Pixies und Blütenfeen. Überall starrten Angehörige des kleinen Volks hinter Steinen und großen Fliegenpilzen hervor. Es war ein nicht enden wollender Ansturm von Bildern und Gerüchen, und Nick war von so vielen sonderbaren Geschöpfen umgeben, dass er sich nie länger als eine Sekunde auf eines von ihnen konzentrieren konnte.
    »Meine Dame«, rief Peter leise und ehrfürchtig.
    Nick folgte Peters Blick zum

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