Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
Vom Netzwerk:
rannte er los, um Peter einzuholen.
     
    Mit Ausnahme von ein paar Kneipen und Restaurants hatten inzwischen alle Geschäfte geschlossen. Sie kamen an einer Bar vorbei, in die Nick einen verstohlenen Blick warf. Er sah verdrießliche, müde Gesichter, roch Zigarettenrauch und Bier, hörte das Klirren von Gläsern und das angespannte Lachenvon Männern und Frauen, die dabei waren, eine lange, harte Arbeitswoche hinter sich zu lassen.
    Ein Haus weiter, vor Antonios Camping- und Sportbedarf, blieb Nick plötzlich stehen und starrte ins Schaufenster.
    Peter stellte sich neben ihn. »Was ist?«
    Nick starrte auf die grün-schwarz karierten
Vans
, die an einem Skateboard lehnten.
    »Die Schuhe?«, fragte Peter.
    »Nichts weiter«, erwiderte Nick, ohne den Blick abzuwenden.
    »Willst du die?«
    Nick nickte gedankenverloren.
    Peter verschwand hinter der Hausecke. Nick warf einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf die Schuhe und folgte ihm dann, doch als er um die Ecke ging, war Peter fort. Nick schaute sich auf dem unkrautüberwucherten Hinterhof um und bemerkte einen bärtigen Mann, der sich in der Nähe des Hintereingangs der Bar an eine dickbäuchige Frau drückte. Ihre Bluse war offen, eine ihrer Brüste war ihr aus dem BH gerutscht und hing ihr fast bis zum Bauchnabel herab. Die beiden kicherten, während der Mann die Brust befingerte wie eine Katze ein Wollknäuel.
    »Himmel«, sagte Nick und schaute wie gebannt zu, bis ein lautes Klappern seine Aufmerksamkeit erregte. Das Geräusch kam von der Mülltonne hinter dem Sportwarengeschäft. Nick spähte um die Tonne herum und sah Peter, dem es gelungen war, eine Eisenstange aus dem bröckeligen Mauerwerk eines Kellerfensters zu lösen. Die benutzte er nun, um eine weitere zu lösen.
    »Was zum Henker machst du da?«
    Peter schnaufte, und die letzte Stange löste sich scheppernd. »Bingo!«
    Nick zog den Kopf ein und spähte in Richtung Bar. Der bärtigeMann betatschte noch immer die Frau, und ein weiterer Mann war herausgetaumelt, um sich zu übergeben, doch keiner der drei blickte in ihre Richtung.
    Peter trat einmal kurz gegen die Scheibe, und das Fenster sprang auf. Der Keller war ein finsteres Loch. Peter schaute zu Nick auf. »Also?«
    »Also was?«, fragte Nick.
    »Holst du dir jetzt die Schuhe, oder nicht?«
    Nick trat hastig zurück, als hätte er gerade eine Giftschlange vor seinen Füßen entdeckt. »Soll das ein Witz sein? Das ist Einbruch.«
    Ein Ausdruck tiefer Enttäuschung huschte über Peters Gesicht.
    Überrascht stellte Nick fest, dass ihm das unangenehm war, dass es ihm tatsächlich etwas ausmachte, was dieser wilde Junge von ihm dachte. »Ich habe keine Angst, falls du das denkst«, erklärte er ein bisschen zu schnell. »Ich bin einfach nur kein Dieb. Das ist …«
    »Nick, lass sie nicht gewinnen. Lass dich nicht von ihnen unterkriegen.«
    »Wie?«
    »Lass dir von ihnen nicht deinen Zauber stehlen.«
    »Zauber?« Was hatte in einen Laden einzubrechen und etwas zu stehlen mit Zauberei zu tun?
    »Kapierst du denn nicht?«, fragte Peter. »Du bist jetzt frei. Du musst ihre Regeln nicht mehr befolgen.« Er zeigte in den tintenschwarzen Keller. »Die Dunkelheit ruft dich. Eine Prise Gefahr, ein minimales Risiko. Hör nur, wie schnell dein Herz schlägt. Hör genau hin. So hört es sich an, wenn man
lebendig
ist. Jetzt ist deine Zeit, Nick. Deine einzige Gelegenheit, Spaß zu haben, bevor
sie
dir alles stehlen, die Erwachsenen mit ihren Gemeinheiten und ihren ewigen Regeln, mit ihrem Du-darfst-dies-nicht, Du-darfst-das-nicht, mit ihrem Mach-diesund Mach-das, mit ihren kleinen Schubladen und Käfigen, die alle nur dem einen Zweck dienen: deinen Geist zu brechen, deinen Zauber abzutöten.«
    Nick starrte in den finsteren Keller hinab.
    »Worauf wartest du?«, fragte Peter und bedachte ihn mit einem teuflischen Grinsen, bevor er durch das Fenster verschwand.
    Worauf warte ich?
, fragte sich Nick.
Und was erwartet mich? Selbst wenn ich nach Hause zurückkönnte, was würde ich tun? Meinen Schulabschluss machen? Mir irgendeinen Job suchen, damit ich meinen Kummer am Wochenende in Alkohol ertränken kann, um anschließend auf einen Parkplatz zu kotzen oder an der Brust von irgendeiner kaputten Schlampe rumzufummeln?
Er schüttelte den Kopf. Peter hatte recht: Wenn er nicht jetzt lebte – in diesem Augenblick –, wann dann? Ein zu großer Teil seiner Jugend war ihm schon gestohlen worden. Sollte er zulassen, dass
sie
ihm noch mehr wegnahmen? Vielleicht war es

Weitere Kostenlose Bücher