Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
Vom Netzwerk:
ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er stellte fest, dass die Wohlgerüche aus dem Chinaladen vor ihnen kamen.
    »Hast du Hunger?«, fragte Peter.
    Nick stellte fest, dass er extrem hungrig war. Er hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Doch dann fiel ihm ein, dass er kein Geld hatte.
    »Bleib hier«, sagte Peter und schaute in beide Richtungen die Straße entlang. »Du stehst Schmiere. In Ordnung?«
    »Schmiere?«, fragte Nick. »Wofür?«
    Doch Peter hatte den Laden bereits betreten.
    Es gefiel Nick gar nicht, wie sich die Dinge entwickelten. Er wollte über die Obstauslage spähen, um zu erkennen, was der goldäugige Junge vorhatte, aber er konnte nur Peters Kopf im Laden umherschweifen sehen. Ein paar Minuten später kam Peter mit zwei Plastikschalen voll dampfendem Hühnchen Kung Pao, gebratenem Reis, Eiröllchen und drei Tüten Schokoriegeln aus dem Laden. Es war fast mehr, als er tragen konnte.
    »Hier, hilf mir mal«, sagte Peter und reichte Nick die Schokoriegel.
    »Moment mal«, erwiderte Nick. »Du hast doch nicht etwa …«
    »Wir sollten uns lieber davonmachen«, unterbrach ihn Peter und ging zügig los.
    Im nächsten Moment kam ein behäbiger alter Chinese mit fleckiger Schürze und gelben Gummistiefeln aus dem Laden gerannt. Er schaute auf Nick und dann auf die Tüte mit den Schokoriegeln in seiner Hand.
    Der Mann grummelte etwas, das deutlich als Fluch zu erkennen war, obwohl Nick kein Chinesisch verstand. Dann zeigte er auf Nick und fing an, immer und immer wieder
»DIIIÄÄÄB!«
zu rufen.
    Nick rannte Peter hinterher.
    Er konnte von Glück sagen, dass der alte Chinese nicht gerade der Schnellste war. Schon bald hatte Nick ihn ein bis zwei Häuserblocks weit hinter sich gelassen.
    Er entdeckte den wartenden Peter in einer Allee, am Eingang einer dunklen Seitengasse. Peter schlüpfte in die Gasse, und Nick folgte ihm.
    Peter ließ sich auf eine Betontreppe fallen und fing so laut an zu lachen, dass er kaum ein Wort herausbekam. »He, du hast dich ziemlich gut geschlagen!« Kichernd klopfte er seinem Begleiter auf die Schulter.
    »Was zum Teufel sollte das?«, schrie Nick. »Wir hätten einen Riesenärger kriegen können!« Er kochte vor Wut. Das war mehr als dumm. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, waren die Bullen auf seinen Fersen. »Das ist nicht lustig!«
    Peter schürzte die Lippen und bemühte sich, sein Lachen zu unterdrücken, doch seine Augen funkelten vor Belustigung.
    »Hast du auch nur die geringste Ahnung, was die mit uns angestellt hätten, wenn sie uns erwischt hätten?«, blaffte Nick.
    Peter schüttelte den Kopf.
    »Sie hätten, sie hätten …« Nick verstummte.
    Peter gab sich größte Mühe, nicht zu lachen, sondern ernst und ehrlich besorgt dreinzuschauen. Nick konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, obwohl es ein Fehler war, denn kaum zuckten seine Lippen, da sprudelte auch schon wieder ein Lachen aus Peter hervor.
    »Ach Mensch, jetzt hast du mich vollgespuckt«, rief Nick und wischte sich durchs Gesicht, aber dann lachten sie beide laut heraus. In diesem Moment begriff Nick, dass er Spaß hatte. Dass er glücklich war, und zwar zum ersten Mal seit sehr langer Zeit.
     
    Sie saßen auf den kalten Betonstufen, aßen gestohlenes Hühnchen Kung Pao und beobachteten, wie die Wolken vor dem Sternenhimmel dahintrieben. Nick konnte sich nicht erinnern, dass ihm je zuvor etwas so gut geschmeckt hatte. Ein steifer Wind wehte ein paar Orangenblätter und Papierfetzen durch die schmale Gasse. Abendtau schimmerte auf den rußigen, mit Graffiti übersäten Wänden. Das tiefe, stotternde und unermüdliche Brummen eines Stromgenerators mischte sich mit dem fernen Klang des Signalhorns der Staten-Island-Fähre.
    Peter seufzte. »Sie sind wunderschön.«
    »Was?«, fragte Nick.
    »Die Sterne«, antwortete Peter mit leiser, andächtiger Stimme und starrte in den Nachthimmel hinauf. »Ich vermisse die Sterne so sehr.«
    Peters Worte kamen Nick seltsam vor, aber an diesem Jungen war so einiges seltsam.
    Peter riss eine Schokoriegeltüte auf, nahm sich ein paar heraus und reichte die Tüte dann Nick.
    Nick fiel auf, dass Peter mehrere Narben am Arm hatte. Auf der Stirn hatte er ebenfalls eine Narbe und eine kleinere an derWange. Am Hals bemerkte Nick etwas, das wie eine verheilte Stichwunde aussah. Er fragte sich, was Peter wohl zugestoßen war.
    »Was hast du mit den ganzen Schokoriegeln vor?«, fragte Nick.
    »Die sind für den Rest der Bande«, sagte Peter kauend.

Weitere Kostenlose Bücher