Der Kinderdieb
toten Boden verfaulten. Doch der Kapitän glaubte nicht, dass dieser Tag ihnen den Tod bringen würde, schließlich verfügte er über siebzig gut gerüstete Männer. Peter und seine Dämonen waren vernichtet, und jetzt waren seine mutigen Männer bereit, die Zauberin aufzuspüren und dieser unschönen Situation ein Ende zu bereiten.
Der Kapitän bedeutete den Männern mit einer Handbewegung, sich zu formieren, und schweigend marschierten sie inZweierreihen zwischen die Bäume, die Waffen im Anschlag. Sie arbeiteten sich die stetige Steigung hoch, bis sie eine Hochebene erreichten, von der aus sie das graue Land um sie herum überblicken konnten.
Der Kapitän bemerkte zwei breite, schlammtrübe Bäche, die sich unter ihnen durchs Sumpfland wanden. Er legte Danny eine Hand auf die Schulter. »Welcher davon ist es, Daniel? Der hier direkt unter uns«, er zeigte auf einen der Wasserläufe, »oder der weiter im Norden?«
»Der weiter im Norden«, sagte Danny, ohne zu zögern.
Der erfahrene Mann war erleichtert, dass der Junge sich sicher war, wo es langging, allerdings beunruhigte es ihn, dass Danny so still und in sich zurückgezogen erschien. Der Kapitän verstand den Grund dafür, er wünschte nur, Danny irgendwie begreiflich machen zu können, dass er das Richtige tat.
Nun ja
, dachte er,
wenn wir erst mal von dieser Insel runter sind, wenn wir das Böse hinter uns gelassen haben, wird genug Zeit sein, alle Wunden zu heilen.
Vielleicht auch seine eigenen. Ein ironisches Grinsen zuckte um seine Mundwinkel.
Wie lange es wohl dauert, bis ein Mensch ein paar Albtraumjahrhunderte überwunden hat?
Nach wenigen Minuten erreichten sie den Bach, und noch immer stellte sich ihnen niemand entgegen. Genau genommen entdeckten sie nicht das geringste Lebenszeichen. Der Wald war grau und wirkte wie tot. Der Kapitän winkte seine Truppen weiter vor, und nach und nach verfielen die Männer in Schweigen, lauschten und hielten die Augen offen, während sie dem schlammigen Bachufer folgten.
Der Prediger glitt bereits zum zweiten Mal innerhalb von weniger als einer Minute aus. Sein persönlicher Bewacher, der stiernackige, grobschlächtige Ochs (der eigentlich Ochsenburg hieß und Kanonenoffizier auf der
Bekenntnis
gewesen war, bevor er zu Gott gefunden hatte), versuchte ihn festzuhalten, wasnur dazu führte, dass beide Männer in den knietiefen Bach rutschten. Der Prediger, dessen bewegliche Gesichtshälfte sich zu einer wölfischen Grimasse verzogen hatte, wischte Ochs’ große Hände beiseite.
Der Kapitän achtete sorgfältig darauf, keine Spur eines Lächelns zu zeigen. Selbst hier draußen, zwischen seinen eigenen Truppen, war der Einfluss des Predigers so groß, dass ein Wort des Mannes genügte, um ihn auspeitschen oder töten zu lassen.
Der Kapitän konnte sich nicht erinnern, wann er den Prediger das letzte Mal außerhalb der Festungsanlage oder gar in der Wildnis gesehen hatte. Wenn der Geistliche durchs Dorf ging, wirkte sein Umhang stets aufsehenerregend und dramatisch, doch hier draußen, zwischen Matsch und Gestrüpp, bereitete er ihm ernsthafte Unannehmlichkeiten. Am Saum des Umhangs setzte sich Schlamm fest, und der Prediger war – zum Ergötzen des Kapitäns – gezwungen, den Stoff zu raffen wie eine Frau ihr Kleid, um sich durch Dornen und Dreck zu manövrieren.
Als das letzte Tageslicht verblasste, blieb Danny stehen. Die Schatten waren nun lang und undurchdringlich, und der Wald schien sich an sie heranzuschieben.
»Dort«, sagte er und zeigte auf etwas.
Der Kapitän spähte voraus, um zu erkennen, was der Junge meinte. »Was ist dort?«
»Die Steine. Dort müssen wir übersetzen. Da drüben liegt der Wald der Dame.«
»Ah«, sagte der Kapitän. »Und ihr Baum? Ist es noch weit bis dorthin?«
»Nein, eigentlich nicht.«
Nach allem, was der Kapitän an diesem langen Tag durchgemacht hatte, hätte er eigentlich müde sein sollen, stattdessen fühlte er sich hellwach, und sein Herz raste. Würde all das nachunzähligen Jahrzenten schließlich ein Ende finden? Er musste sich beherrschen, um nicht vor Ungeduld loszurennen. »Bewegung«, befahl er.
Die Männer überquerten die Steine und marschierten in den Wald, der Dame und ihrem Baum entgegen.
Ulfger hielt sich Caliburn vor die Brust und betrachtete die Runen auf der geborstenen Klinge. Das Schwert hatte heute viel Blut getrunken, trotzdem war kein Fleck auf dem dunklen Stahl zu sehen. Wie viele hatte er wohl erwischt – zehn, ein Dutzend?
Er
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