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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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muss dir was sagen. Ich muss es jemandem sagen. Bitte, Mann. Hör mir einfach bloß zu.« Tränen strömten ihm übers Gesicht. »Ich hab was getan, was Schlimmes. Es hat mit meinem Vater zu tun.«
    Himmel
, dachte Nick,
der gibt nicht auf.
    »Erinnerst du dich, als alle davon erzählt haben, warum sie abgehauen sind?«, fuhr Leroy fort. »Weil ihre Eltern oder Stiefeltern sie so mies behandelt haben. Sie sind abgehauen, weil niemand sie geliebt hat. Weil niemand sich um sie gekümmert hat. Und wie ich dann meinte, dass es bei mir auch so war. Tja, war es aber nicht. Meine Eltern haben mich
geliebt
. Sie haben mich mehr als alles andere auf der Welt geliebt. Sie haben sich alle Mühe gegeben, mich aus Schwierigkeiten rauszuhalten. Aber ich hab ständig Müll gebaut, hab sie angelogen, sie bestohlen und mich mit ihnen gestritten. Jedes Mal, egal was los war, hat meine Familie versucht, eine Lösung zu finden, alles wieder in Ordnung zu bringen und mir noch eine Chance zu geben.« Inzwischen heulte und schluchzte Leroy unverhohlen. »Eines Tages bin ich einfach durchgedreht und … weißt du, was ich getan habe?« Leroy schien unfähig, die Worte auszusprechen. »Ich hab ihn getötet. Meinen eigenen Vater. Ich hab meinen Vater getötet.«
    Nick starrte ihn entsetzt an. Das war einfach zu viel.
    Leroy ergriff Nicks Hand. Der wollte sich losreißen, doch diesmal hielt Leroy ihn fest. »Willst du wissen, warum? Willst du wissen, warum ich meinen eigenen Vater getötet habe?«
    Nick wollte es nicht wissen. Er wollte kein einziges Wort mehr hören. Er vernahm noch immer das endlose Salbadern des Predigers über Gott und den Teufel, und er sah, wie die Menge ihn und Leroy finster anstarrte, als hätten sie höchstpersönlich Jesus ans Kreuz genagelt. Nick hatte die Nase vollvon diesem Albtraum. Er wollte diesen ganzen Schlamassel nur noch hinter sich bringen.
    »Wegen ’nem Bier. Ich hab meinen eigenen Vater wegen ’nem Bier erstochen. Wegen einem bescheuerten Bier. Ich wollte damit aus dem Haus gehen, und er hat es mir verboten. Dabei mag ich Bier nicht mal. Ich wollte bloß ein paar blöde Idioten aus meiner Straße beeindrucken. Glaubst du das? Wir haben uns gestritten, und dabei hab ich ihn erstochen, hab ihm ein Küchenmesser in die Brust gerammt. Ich wollte es nicht. Ich schwöre bei Gott, dass ich es nicht wollte. Ich weiß nicht mal mehr, wie es passiert ist. Aber es ist passiert. Dann liegt er plötzlich am Boden, und alles ist voller Blut. Verflucht er mich jetzt, sieht er wenigstens aus, als wollte er mich am liebsten umbringen? Nein, er schüttelt nur langsam den Kopf und schaut mich mit dem traurigsten Blick an, den ich jemals gesehen habe. Er war wegen mir traurig, Nick, nicht wegen sich selbst. Da liegt er und stirbt und denkt noch immer nur an mich! Verdammt noch mal!« Leroy gab einen Laut von sich, der klang, als hätte jemand ihn erstochen. »Ich krieg seinen Blick einfach nicht aus dem Kopf.« Leroy ließ Nicks Hand los, rollte sich zusammen, zog die Knie an die Brust und schluchzte hemmungslos.
    Nick wandte sich ab. Er versuchte sich in sich selbst zurückzuziehen, Hauptsache fort von hier, und als er das tat, sah er das Gesicht seiner Mutter, ihr Lächeln, und hörte ihre Stimme.
    Langsam senkte der Korb sich wieder ins Wasser. Nick umklammerte die Bambusstäbe, schloss fest die Augen, biss die Zähne zusammen und drückte die Stirn gegen das Geflecht. »Ma«, flüsterte er, während er unterging. »Es tut mir leid, dass ich dich verlassen habe. Bitte vergib mir, Ma. Bitte.« Dann verschlang ihn das dunkle Wasser.
     
    Nick trat aus der Dunkelheit. Es fühlte sich nicht wie Gehen an, eher als ob er aus dem Nichts wiederauftauchte. Er hörtegedämpfte Stimmen und blinzelte. Verschwommene, dunkle Schemen beugten sich über ihn.
Wo bin ich?
, fragte er sich. Ihm war kalt, und er war nass, außerdem tat seine Brust weh, sein Magen fühlte sich aufgebläht an, und seine Kehle brannte. Er würgte krampfhaft, und jemand rollte ihn auf die Seite. Da zog er die Knie an die Brust und würgte erneut. Es kam ihm vor, als ob er eimerweise Salzwasser erbrach. Als ob er seine Eingeweide erbrach. Nick hörte nicht auf zu würgen, bis nur noch dünne Gallefäden herauskamen.
    »Tritt vor, mein Kind«, erklang die Stimme eines Mannes.
    Als er sie hörte, erinnerte Nick sich wieder an alles. Er stieß ein gedehntes Stöhnen aus. Also war er nicht gestorben. Er hatte es versucht. Beim zweiten Mal hatte er das schwarze

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