Der Kinderdieb
durch die Menge zu bahnen – die Leute kletterten buchstäblich übereinander hinweg, um ihm nicht im Weg zu stehen. NicksBlick fiel auf mehrere Passagiere zu seiner Linken, die sich durch einen Notausgang drängten. Er nahm Grille bei der Hand und zog sie durch die Tür, ein paar Metallstufen hinunter und auf einen dunklen Parkplatz. Überall rannten Leute herum, nur von den Teufeln und Fleischfressern keine Spur. Sie überlegten gerade, was sie als Nächstes tun sollten, als es irgendwo in der Fährstation mehrmals laut knallte. Es klang nach Pistolenschüssen.
Ein verzerrtes Quietschen drang aus dem Funkgerät des Sicherheitsbeamten Julio Sanchez, gefolgt von einem kurzen, statischen Knistern. Er drückte aufs Mikrofon. »Wiederholen, bitte.«
Die Stimme wiederholte ihre Mitteilung.
»Verstanden, ich kümmere mich drum.« Julio wirbelte zu seinem Mitarbeiter herum, einem gelangweilt dreinschauenden, dickbäuchigen Beamten, der am Drehkreuz lehnte. »Mac, Himmel auch, die Einsatzzentrale hat gerade einen panischen Anruf vom Steuermann gekriegt. Es geht um eine Bande schwarzer Männer, die die Passagiere terrorisieren! Allerdings meint die Zentrale, dass der Steuermann vermutlich getrunken hat, er hat nämlich auch was von einem großen Ungeheuer mit Hörnern erzählt.«
Mac unterdrückte ein Gähnen. »Immer mit der Ruhe, Frischling. Der Kerl hat wohl überreagiert. Das sind sicher nur ein paar Jungs, die Müll bauen.«
Julio kniff die Augen zusammen. Wie lange ging das jetzt schon so mit Mac? Mindestens drei Jahre. Langsam musste er ihn nun wirklich nicht mehr
Frischling
nennen.
»Wenn man diesen Job so lange gemacht hat wie ich, hat man alles gesehen«, fuhr Mac fort. »Und glaub mir, ich
habe
alles gesehen. Bleib einfach ruhig, dann läuft alles wie geschmiert. Kapiert?«
Ein plötzlicher Ruck durchlief die Fährstation.
»He, was war das?«, fragte Julio.
Sie hörten Fußgetrappel im Stockwerk über ihnen, begleitet von lauten Rufen und Geschrei. Die Alarmsirenen ertönten. Vier Hafenarbeiter, ein Hausmeister und eine Gruppe Frauen in Hosenanzügen rannten den Gang entlang und sprangen über das Drehkreuz, als wären sie bei einem Hürdenlauf.
»Ich rufe Verstärkung«, meinte Julio.
Mac lachte. »Verstärkung? Weshalb …« Plötzlich erbleichte er und riss die Augen auf.
Julio hätte sofort darauf gewettet, dass »Ich-habe-schon- allesgesehen-Mac« noch nie eine Horde schwarzhäutiger Dämonen in Lumpen und Rüstungen gesehen hatte, die Schwerter und Speere trugen und eine nackte Frau und einen dicken Jungen an einem Seil hinter sich herzogen. Er hätte seinen linken Hoden darauf verwettet, dass selbst Offizier Mac noch nie etwas Derartiges gesehen hatte.
Die Monster liefen in einer Reihe den breiten Gang entlang und gingen durch das Drehkreuz. Zu Julios Überraschung stellten sie sich ordentlich an und traten einer nach dem anderen hindurch. Sie wirkten ausgesprochen angetan von der Apparatur.
Zuerst dachte Julio, dass es sich um eine Theatergruppe handelte oder vielleicht um fanatische Teilnehmer eines Fantasy-Rollenspiels. Er hatte gehört, dass diese Freaks auf ziemlich schräge Verkleidungen standen. Er warf einen weiteren Blick auf die Frau und den Jungen, bemerkte die roten Striemen auf dem Rücken der Frau und mutmaßte nunmehr, dass es sich vielleicht um eine SM-Sekte handelte. Aber das waren keine Kostüme. Er beäugte die drahtigen Muskeln, die sich unter der Schuppenhaut der Männer bewegten, außerdem stanken sie abscheulich.
Was auch immer das für Leute sind
, dachte er,
sie sind echt!
Schließlich fand Julio seine Stimme wieder. »Einen Moment«, sagte er, so ruhig er konnte. Er wollte nicht, dass die Situation außer Kontrolle geriet.
»STEHEN BLEIBEN!«
, kreischte Mac mit hoher, schriller Stimme. Julio stellte entsetzt fest, dass sein Kollege die Pistole gezogen hatte und sie nun auf die Monster richtete. »Keine Bewegung, ihr Idioten!«
»Ganz ruhig, Mac«, flüsterte Julio. »Könntest du dich bitte einfach beruhigen!«
Ein hochgewachsener Mann im schwarzen Umhang trat vor. »Wer seid ihr?«, fragte er und musterte Julio von oben bis unten. »Seid ihr Mannen des Herrn?«
»Moment mal, Kumpel«, sagte Julio. »Hier stelle ich die Fragen.«
Ein weiteres Monster trat vor. »Das sind eine Art Schutzleute. Wachen, vielleicht.«
»Ein Schutzmann?«, fragte der Typ im Umhang. »Wo ist dein Herr? Wir müssen den König sehen.«
Die übrigen Monster waren nacheinander
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