Der Kinderdieb
würde ihn zu sich rufen, ihn an ihren warmen Busen drücken und ihm ein Schlaflied singen. Peter knirschte mit den Zähnen und wischte sich wütend die Tränen weg. Er wusste ganz genau, was passieren würde, wenn er an diese Tür klopfte.
Ein Schwall Gelächter drang durch das Fenster. Es kam nicht nur von den Jungen, sondern von der ganzen Familie, die gemeinsam lachte. Peter starrte finster in die Nacht. Das Lachen hielt an, wie um ihn zu piesacken. Er stieß sein Messer in die Erde.
»Wen interessiert’s?«, flüsterte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Wer will schon in einem blöden, muffigen Haus sitzen, mit gemeinen, blöden Erwachsenen?«
Sein Magen knurrte, und er stand auf. Auf der Suche nach dem Hühnerhaus ging er zu den Ställen.
Vielleicht zünde ich ihnen die Bude an. Dann erfahren sie, wie es draußen in der Kälte ist
.
Er fand das Hühnerhaus, öffnete leise die Klappe und schlüpfte hinein. Ein paar Hennen hoben die Köpfe, gackerten und beäugten ihn misstrauisch. Peter wartete, bis sie sich beruhigt hatten, und nahm sich dann alle Eier, die er finden konnte. In einer Ecke entdeckte er einen Haufen Leinensäcke, griff nach einem und hielt ihn sich vor den Leib.
Passt etwa
. Er verließ den Hühnerverschlag und durchstöberte den Stall, bis er einStück Seil und einen Knüppel fand. Er hielt das kurze, dicke Stück Holz mit ausgestrecktem Arm in die Höhe und wog es in der Hand. Er hoffte, dass er es nicht brauchen würde, doch er nahm es trotzdem mit, für alle Fälle. Er hatte noch nie zuvor ein Kind gestohlen und nahm an, dass ein guter, solider Stock vielleicht kein schlechtes Hilfsmittel wäre.
Er versteckte seine Beute hinter einer großen Eiche, die am Rand eines Felds stand. Dann kletterte er zum Schlafen ins Geäst der Eiche, aber er brauchte lange, um Ruhe zu finden.
Morgen
, dachte er.
Morgen fange ich mir einen Edwin
.
Peter erwachte beim ersten Hahnenschrei. Er setzte sich auf, atmete die kühle Morgenluft ein und fragte sich, ob der Junge schon auf war. Mit einem Satz sprang er aus seinem Baum. Die Sonne linste gerade erst über die Hügelkuppe, und ein feiner Bodennebel hing über der frisch aufgeworfenen Erde auf den nahen Feldern. Er erleichterte sich und kauerte sich dann neben die Eiche, um zu warten und Ausschau zu halten. Er hatte noch keinen Plan, außer dass er Edwin dazu bringen wollte, hinter den Baum zu kommen, damit er ihn in den Sack stecken konnte.
Männer, Frauen und ältere Kinder traten aus den Häusern und machten sich an ihr Tagewerk. Schon bald war die Luft vom Scheppern des Schmiedehammers erfüllt, von den Lauten fressenden Viehs und dem Rufen und Ächzen der Männer auf den Feldern. Von dem Jungen dagegen war noch immer nichts zu sehen.
Langsam wurde Peter unruhig. Es gefiel ihm gar nicht, sich so nahe beim Dorf aufzuhalten. Ihm war nur allzu bewusst, wie viele erwachsene Männer hier unterwegs waren. Schließlich hörte er lebhaftes Kindergeschrei und entdeckte Edwin und den anderen Jungen. Peter beobachtete, wie sie über den Dorfplatz zu den Ställen liefen. Kurz darauf kamen sie mit einem Eimer injeder Hand wieder zum Vorschein und verschwanden gleich danach in einem Wäldchen am Fuße eines Abhangs. Peter blickte sich nach Erwachsenen um und flitzte dann von Heuhaufen zu Heuhaufen quer übers Feld Richtung Wäldchen.
Als er die beiden fand, füllten sie die Eimer gerade an einem kleinen Bach. Peter versteckte sich hinter einem Brombeerdickicht. Mit den Wassereimern in den Händen stiegen die Jungen vorsichtig den Hang hinauf und achteten dabei auf jeden Schritt. Peter wartete, bis sie ihn beinahe erreicht hatten, und sprang aus seinem Versteck.
»Hallo!«
Die Jungen schrien, drehten sich um, um wegzurennen, und prallten dabei zusammen. Beide kullerten mitsamt den Eimern und ihrem Inhalt den Hang hinunter.
Peter fiel auf die Knie. Er musste sich den Bauch halten vor Lachen.
Die beiden Jungen wechselten erschreckte Blicke, aber dann breitete sich ein Grinsen auf Edwins Gesicht aus. »He, der ist das!«, rief er.
Der andere Junge schaute verständnislos.
»Der ist das«, wiederholte Edwin. »Der Waldelf! Siehst du, Otho, ich hab’s dir doch gesagt.« Er stieß den anderen Jungen gegen die Schulter. »Na, wer ist jetzt der Trottel?«
Otho schaute Peter aus zusammengekniffenen Augen an. »Bist du wirklich ein Waldelf?«
»Sein Name ist Peter«, sagte Edwin. »Zeig ihm deine Ohren, Peter.«
Der Elf schob seine Waschbärenkapuze
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