Der Kinderdieb
deren Holz ein Mond gebrannt war. »Das ist das Klo.«
Nick wrang den Putzlumpen aus, hängte ihn über das Fass und ging Richtung Bad. Er trat ein, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Mit fest zugekniffenen Augen atmete er mehrmals angestrengt tief durch, wild entschlossen, nicht loszuheulen. Er ballte die Hände zu Fäusten. »Scheiß auf diese Mistkerle«, flüsterte er. »Diese verdammten Mistkerle.«
Etwas regte sich und gab einen schnalzenden Laut von sich.
Nick öffnete die Augen und sah sich in dem kleinen, spärlich erleuchteten Raum um. An einer Wand hing ein ovaler Spiegel, dessen Oberfläche von einem Netzwerk aus Sprüngen überzogen war, die sein Spiegelbild fragmentierten und vervielfachten. Ein hohes Fenster von gut zehn Zentimetern Breite ließ einen schmalen Streifen Licht herein. Das Licht reichte aus, um eine vorsintflutlich anmutende Kupferpumpe in einer Ecke auszumachen und darunter, auf dem Boden, einen runden Holzdeckel. Nick nahm an, dass es sich um die Toilette handelte, und er stellte fest, dass er wirklich dringend musste.
An der Klappe war ein Seil befestigt, das durch einen Zugring lief und dessen anderes Ende herabhing. Nick nahm das Seil, zog den Deckel auf und wurde von einer warmen, grässlich stinkenden Wolke begrüßt. Er war gerade damit beschäftigt, sich zu erleichtern, als er das Klappern erneut hörte. Es kam aus dem Loch. Er machte eine Bewegung aus. Ein etwa rattengroßes schwarzes und pelziges Ding mit Spinnenbeinen huschte aus einer Ritze im Mauerwerk hervor. Es legte den Kopf schief und blickte mit sechs leeren, seelenlosen Augen zu Nick auf, um gleich darauf wieder außer Sicht zu huschen. Nick spähte in die Tiefe. Aus der Dunkelheit starrten Hunderte leuchtende Augen zu ihm hoch. Als Nick den Deckel zuschlug, fielen ihm in einer Ecke mehrere klebrige weiße Haufen auf dem Boden auf, die wie Vogelkot aussahen. Er sah auf: Oben im Gebälk starrten ihn zwei der kleinen blauen Wesen aus einem Strohnest heraus an. Sie schlugen mit den Flügeln und fauchten.
»Was für ein verrückter Ort ist das hier?«, sagte er halblaut, während er sich den Hosenstall zumachte. »Was für eine Art von Hölle soll das sein?« Er schaute in den Spiegel, und ein Dutzend wütender Mienen erwiderten seinen Blick. Er sah aus wie jemand aus einem Flüchtlingslager – Schlamm und Grütze klebten ihm im Haar, seine Lippen waren aufgesprungen undgeschwollen, und getrocknetes Blut klebte ihm im Gesicht. »Wo bin ich da nur reingeraten?« Mit einem Mal überkam ihn ein überwältigendes Verlangen nach seiner Mutter. Sein Spiegelbild verschwamm, als seine Augen sich mit Tränen füllten.
»Nein. Zum Teufel mit ihr.«
Das ist alles ihre Schuld. Sie ist der letzte Mensch auf der Welt, den ich jetzt sehen möchte
. Wütend wischte er die Tränen weg und trat an die Pumpe.
Nick warf die Pumpe an, hielt die Hände in den Strahl und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Es war kühl und erfrischend. Er wusch sich den Schlamm, die Grütze und das Blut aus dem Haar und von Gesicht und Armen. Dann schaute er erneut in den Spiegel.
Ich werde mitspielen
, dachte er.
Aber bei der ersten sich bietenden Gelegenheit verschwinde ich von hier
.
Sekeu erwartete Nick bereits, als er vom Klo kam. »Komm mit.«
Sie führte ihn quer durch den Raum, wobei sie Bögen um mehrere Grüppchen von Teufeln schlug, die sich an ihren Waffen übten. Laute Rufe und das abgehackte Klappern von Holz auf Holz zerrissen die Luft. Einmal mehr stellte Nick erstaunt fest, wie schnell und gewandt die Teufel waren. Konnte auch er lernen, sich so zu bewegen?
Er folgte Sekeu ans andere Ende des Raums, wo die Strohpuppen an Seilen hingen – diejenigen, die Nick für Kinder gehalten hatte. Jetzt, aus der Nähe, war ihr Zweck offensichtlich: Es handelte sich um Übungspuppen. Hier war der Boden sandig. Nick beobachtete Leroy, Grille und Danny dabei, wie sie mit kurzen Stäben verschiedene Schläge an den Strohpuppen übten.
Danny hielt inne. Er war völlig aus der Puste, schweißdurchtränkt und hatte einen hochroten Kopf. »He«, keuchte er und wischte sich über die Stirn. »Ist schon Pause?«
»Danny«, sagte Sekeu, »du hast gerade erst angefangen.«
Die Schultern des Jungen sackten herab, und er stieß ein lautes Stöhnen aus.
Sekeu beachtete ihn nicht weiter, ging zur Wand und nahm einen Stab aus seiner Halterung. Sie wirbelte ihn so schnell herum, dass er zu verschwimmen schien, hielt ihn
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