Der Kinderdieb
hatte
etwas
– und angesichts der kichernden Pixies im Gebälk hatte Nick eine verdammt gute Vorstellung davon, was für ein Etwas – ihm die Haare an den Käfigstäben festgeknotet.
»Nur noch eine. So«, sagte Grille. »Du wirst wohl lernen müssen, mit dem Kopf nicht so dicht an den Gitterstäben zu schlafen.«
Nick setzte sich auf, rieb sich übers Haar und warf Grille einen missmutigen Blick zu. »Danke, das habe ich schon allein rausgefunden.«
»Puh, da ist aber jemand ein Griesgram.« Das Mädchen lachte, verstummte jedoch abrupt. »Du siehst aber nicht gut aus.«
Nick runzelte die Stirn. »Danke.«
»Nein, so meinte ich das nicht. Ich will sagen, du siehst
krank
aus. Geht es dir nicht gut?«
»Mir geht’s
bestens
«, sagte Nick wortkarg. »Hab nur schlecht geträumt, das ist alles.«
Nachdem er eine Weile angestanden hatte, ging Nick aufs Klo und betrachtete sich lange und genau im Spiegel. Grille hatte recht, er sah verdammt übel aus. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, einen gehetzten Blick, und sein Gesicht wirkte seltsam ausgezehrt. Er musste noch immer an seinen Albtraumdenken. Anders als sonst konnte er ihn nicht abschütteln. Er erinnerte sich nicht nur deutlich an jede Einzelheit, sondern verspürte auch noch immer das ungute Gefühl, das der Traum mit sich gebracht hatte, den Schrecken über das, was er gesehen und getan hatte. Obwohl er wusste, dass es albern war, suchte er seine Hände nach Anzeichen davon ab, dass sie schwarz wurden oder sich in Klauen verwandelten. So real hatte sich der Traum angefühlt. Nick hielt den Kopf unters kalte Wasser. Danach fühlte er sich besser, doch seinen Schrecken und die dunklen Ahnungen in seinem Herzen konnte er nicht abwaschen.
Als Nick das Klo verließ, wäre er beinahe mit Sekeu zusammengestoßen. Sie war damit beschäftigt, das Frühstück zuzuteilen und die Feuer in Gang zu bringen.
»’tschuldigung«, sagte er.
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, hielt inne, drehte sich um und musterte ihn erneut. Sie wirkte weniger besorgt als vielmehr verstört. »Nick, wie geht es dir?«
»Ganz gut.«
Sekeu beäugte ihn skeptisch. »Bist du dir sicher?«
»Ja«, erwiderte Nick leicht genervt. »Alles in Ordnung, ehrlich.«
Blutrippe trat hinter Sekeu und schlug ihr auf den Hintern. »Rothaut, Bleichgesicht braucht dich beim Stammesfest.«
Sekeu wirbelte mit der Faust voran herum.
Blutrippe war offenbar auf ihre Attacke vorbereitet. Er sprang zurück, doch sie erwischte ihn trotzdem so fest am Arm, dass Nick allein bei dem Anblick zusammenzuckte.
»Au, verdammt noch mal!«, schrie Blutrippe und hielt sich mit schmerzverzerrter Miene die Schulter. »Mann, war doch nur Spaß.« Er schüttelte seinen Arm.
»Was willst du?«, blaffte Sekeu. Sie sah aus, als wollte sie ihm den Kopf abreißen.
»Eigentlich nichts, außer dass uns die Eicheln und Beeren ausgehen – und die Pilze. Und so ziemlich alles andere auch.« Blutrippe, der sich noch immer den Arm rieb, beugte sich zu Nick herüber und flüsterte: »Sie verschafft sich ihre Kraft, indem sie weiße Männer skalpiert, weißt du.« Schnaubend versetzte er Nick einen Stoß in die Rippen, doch dann betrachtete er ihn noch einmal genauer. »He, Mann. Du siehst nicht besonders gut aus, Kleiner.«
Nick runzelte die Stirn.
»Wie hast du geschlafen?«, fragte Sekeu ihn. »Hattest du Albträume?«
Das Bild seiner Haut, die schwarz wurde, und das seiner Hände, die sich zu Klauen verkrümmten, stiegen vor Nicks innerem Auge auf. Er wollte davon erzählen, doch die Art, wie die beiden ihn musterten, gefiel ihm nicht. Sie schauten ihn an, als hätte er ein Verbrechen begangen. »Nein«, log er daher. »Ich hatte nur ein bisschen Bauchschmerzen. Weiter nichts. Jetzt geht’s mir gut.«
Sekeu und Blutrippe wechselten argwöhnische Blicke. Keiner von beiden wirkte sonderlich überzeugt.
Blutrippe schlug Nick auf die Schulter. »Dein Körper muss sich erst an das Essen gewöhnen, Mann. Mehr nicht. Das legt sich.«
Doch Nick entging nicht, dass Blutrippe Sekeu einen düsteren Blick zuwarf.
Die beiden machten ihm Angst.
Die nächsten Tage schienen zu einer Einheit zu verschmelzen. Frühstück, Training, Abendessen, schlafen, Frühstück, Training, Abendessen, schlafen, immer und immer wieder. Nick gab sich alle Mühe, Leroy aus dem Weg zu gehen, doch der größere Junge hatte besonderen Spaß daran, ihn zu triezen, und er ergriff jede Gelegenheit, ihm das Leben schwer zu machen.Nick wollte sich
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