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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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ihren Stuhl hatte sie weggedreht, als wollte sie deutlich machen, dass sie nicht dazugehörte. Die Beine hatte sie übereinandergeschlagen, wobei der schwarze Rock über die Knie hochgerutscht war. Ihre weiße Bluse hing über den Rock, seidig und lose, sicher angenehm anzufassen. Das Getränk in dem Glas neben ihrem Ellbogen war tiefrot; Lager mit Cassis, vermutete Raymond. Als sie merkte, dass Raymond sie anstarrte, schaute sie nicht weg.

5
    »Sara, also?«
    »Ja, Sara.«
    »Ohne h?«
    »Genau.«
    »Meine Cousine heißt auch Sarah. Aber mit h.«
    »Ah.«
    Raymond konnte sein Glück kaum fassen. Er hatte gewartet, bis sie ihr Lager mit Cassis ausgetrunken hatte, und sich dann zu ihr durch die Bar gedrängt, bevor sie die Tür erreicht hatte.
    »Hallo.«
    »Hallo.«
    Ein paar Minuten standen sie vor den Telefonzellen gegenübervon »Yates Wine Lodge« und dem »Next«. Andere Nachtschwärmer rempelten sie an, die zu den Clubs wollten, ins »Zhivago’s« und ins »Madison«. Am Bordstein stand mit laufendem Motor ein Polizeibus mit Hundestaffel. Sara wartete darauf, dass er etwas sagen würde, das merkte Raymond, aber er wusste nicht, was sie erwartete.
    »Wenn du Lust hast, könnten wir …«
    »Ja?«
    »Eine Pizza essen?«
    »Nein.«
    »Dann vielleicht was anderes. Chips.«
    »Nein, ist schon gut. Ich hab keinen Hunger.«
    »Oh.«
    Ihr Gesicht hellte sich auf. »Warum gehen wir nicht einfach ein Stück spazieren?«
    Sie gingen die Market Street hinauf, auf halber Höhe die Queen Street hinunter und schließlich die King Street wieder zurück. In der Clumber Street reihten sie sich in eine der Schlangen bei McDonald’s ein, zwölf bis vierzehn Leute vor jeder der sechs Kassen. Wahnsinn, was die einnehmen, dachte Raymond, als er schließlich eine Papiertüte mit einem großen Hamburger, Pommes, Cola und einer Apfeltasche in der Hand hielt. Sara hatte einen Schoko-Milkshake genommen. Da die Bänke alle besetzt waren, lehnten sie sich an die Wand neben dem Seiteneingang von Littlewoods. Raymond kaute seinen Burger und sah zu, wie Sara den Deckel ihres Bechers abhob und sich den Shake, der für den Trinkhalm viel zu dick war, direkt in den Mund kippte.
    Als er ihr erzählte, dass er in einer Großschlachterei arbeitete, zuckte sie nur mit den Schultern. Aber später, auf dem Weg zur Long Row, fragte sie: »Sag mal, musst du in der Arbeit, du weißt schon, musst du das Fleisch zerhacken und so?«
    »In Bratenstücke, meinst du?«
    »Ja.«
    »Die Kadaver?«
    »Ja.«
    Raymond schüttelte den Kopf. »Das ist Facharbeit. Ich meine, ich könnte vielleicht. Hätte nichts dagegen. Man verdient da viel besser. Aber nein, ich schleppe das Zeug nur, helfe beim Verladen und Packen und so was eben.«
    Sara arbeitete in einem Süßwarenladen unten beim Broad-Marsh-Einkaufszentrum. In einem dieser hell erleuchteten, offenen Läden in Pink und Grün, wo man sich selbst bedient und am Schluss alles von der Verkäuferin abwiegen lässt. Da bekämen die Leute oft einen Schreck, erzählte Sara, wenn ihre Tüte auf der Waage liege und sie sähen, dass der Spaß sie fünfundsiebzig Pence oder sogar ein Pfund kosten würde. Viele baten sie, einen Teil herauszunehmen, um es billiger zu machen, und sie musste ihnen dann erklären, freundlich, geduldig und lächelnd, wie die Geschäftsführerin sie angewiesen hatte, wie schwierig es sei, zehn verschiedene Sorten Süßigkeiten in die entsprechenden Behälter zurückzusortieren. Wollten sie nicht vielleicht doch lieber alles nehmen und bezahlen, wenigstens dieses eine Mal? Sie würden es bestimmt nicht bereuen, die Süßigkeiten schmeckten alle köstlich, wirklich, sie stibitze selber auch oft ein Stück.
    Raymond war nicht immer ganz bei der Sache, während sie erzählte. Er war ständig damit beschäftigt, Sara von einer Straßenseite auf die andere zu lotsen, um irgendwelchen johlenden Horden auszuweichen, die den ganzen Bürgersteig blockierten und sie auf die Fahrbahn hinaus zwangen. Und er musste sie immer wieder von der Seite ansehen; den schwarzen Rock, der auch jetzt, beim Gehen, oberhalb ihrer Knie endete; die seidig glänzende Bluse unter der dunklen offenen Jacke, die Rundung ihrer kleinenBrüste. Als sie am unteren Ende der Hockley Street an der Ampel warteten, berührte er sie das erste Mal, schob seine Hand an der Innenseite ihres Oberarms hinauf und umfasste ihn.
    Sara lächelte. »Ist nett von dir, mich nach Hause zu bringen.«
    »Kein Problem.«
    Sie drückte ihren Arm an sich

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