Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
Vom Netzwerk:
Gespräch mit Gloria.«
    Lynn machte sich sofort auf den Weg. Als Resnick den Vernehmungsraum betrat, saß Stephen Shepperd am Tisch und starrte auf die von zahllosen Zigaretten hinterlassenen Brandflecken. Naylor legte ein neues Band ein.
    »Muss das sein?«, fragte Shepperd mit einem Blick auf das Aufnahmegerät. »Ich hasse diese Dinger.«
    »Es zeichnet das Gespräch wortgetreu auf«, erklärte Resnick. »Es ist zuverlässiger als eine Mitschrift von Hand. Und es geht schneller. Es ist also ganz in Ihrem Interesse, dass wir es benutzen, würde ich sagen.«
    Shepperd wischte mit den Händen an seinen Hosenbeinen hinauf und hinunter und schloss einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, stand Resnick am Tisch, ihm direkt gegenüber. »Wir stellen Ihnen jetzt einige Fragenim Zusammenhang mit dem Verschwinden von Emily Morrison, Mr Shepperd, und der Ermordung von Gloria Summers.«
    Shepperd hielt die Hände still und umklammerte fest seine Oberschenkel.
    »Wie ich Ihnen bereits sagte, sind Sie zu diesem Zeitpunkt nicht in Haft. Das heißt, Sie können jederzeit gehen. Es heißt auch, dass Sie sich von einem Anwalt vertreten lassen oder sich juristische Beratung holen können, wenn Sie das möchten. Haben Sie das alles verstanden?«
    Stephen Shepperd holte tief Luft und nickte.
    »Dann«, fuhr Resnick fort, »belehre ich Sie jetzt, dass Sie sich zu diesen Fragen nicht zu äußern brauchen, wenn Sie nicht wollen, aber wenn Sie sich äußern, kann alles, was Sie sagen, zu einem späteren Zeitpunkt als Beweismittel verwendet werden. In Ordnung, Mr Shepperd?«
    Einen Finger auf seinen Augenwinkel gedrückt, wo wieder der Nerv zu zucken begonnen hatte, murmelte Stephen Shepperd: »Ja, gut.«
    Joan verstaute die Tomaten und den Orangensaft im Kühlschrank und legte die Äpfel in eine Schale. Sie löste eine der Briefmarken aus dem Heftchen und klebte sie auf die obere rechte Ecke des Umschlags, der schon adressiert war und einen Brief an ihre Freundin in Redruth enthielt, so ziemlich die einzige Freundin aus der Studienzeit, mit der sie noch Kontakt hielt. Stephens Nachricht lag auf dem Tisch, von einem Glas Basilikum beschwert, das er vom Bord genommen hatte. Sie las sie ohne Überraschung, ohne heftige Gefühle. Sie wusste, sie hatte die Dinge viel zu lange schleifen lassen und all seinen Beteuerungen einfach unbesehen geglaubt. Sie hatte die Augen verschlossen. Das konnte sie sich inzwischen eingestehen. Und nun mussten die Dinge eben ihren Lauf nehmen. Die Beruhigungstabletten,die ihr im Herbst vom Arzt verschrieben worden waren, hatte sie nie genommen, bis gestern Abend, und sie überlegte, vielleicht jetzt noch eine zu nehmen und gleich vor dem Vormittagstee mit einem Schluck Wasser hinunterzuspülen. Eine, vielleicht sogar zwei.

41
    »Michael!«, rief Lorraine. »Michael! Michael!« Erst am Fuß der Treppe, dann im oberen Flur, schließlich in der Schlafzimmertür stehend. Michael Morrison glaubte, als er aus bleiernem, schweißtreibendem Schlaf hochschreckte, die laute, drängende Stimme bedeute Neuigkeiten über Emily, aber ein Blick in Lorraines Gesicht genügte, um ihm zu zeigen, dass er sich irrte. Stöhnend ließ er sich wieder niederfallen und zog die Decke über den Kopf.
    »Michael, du kommst zu spät zur Arbeit.«
    Sie verstand mit Mühe, was er unter der Steppdecke nuschelte. »Ich gehe heute nicht zur Arbeit.«
    Die Tasse Tee, die sie ihm vor einer halben Stunde gebracht hatte, stand unberührt und fast kalt auf dem Nachttisch. Das Zimmer roch nach Alkohol und Zigaretten. Michael war bis nach Mitternacht aufgewesen und hatte Videos angesehen, die er sich im Laden an der Ecke geholt hatte, eines nach dem anderen, von Anfang bis Ende. Schließlich hatte er den Videorecorder an den tragbaren Fernseher angeschlossen, den sie oben im Schlafzimmer stehen hatten, und an sein Kopfkissen gelehnt mit der soundsovielten Flasche Wein neben sich und einem Aschenbecher zwischen den Knien irgendeinen entsetzlich lauten und blöden Film mit Eddie Murphy angeschaut.
    Lorraine hatte mit dem Rücken zu ihm dagelegen und sich immer wieder vorgehalten, sie dürfe nicht vergessen,was geschehen war, dass jeder auf seine ganz eigene Art mit einem Trauma umgehe; und dann hatte sie versucht, sich zu erinnern, warum sie ihn geheiratet hatte.
    Sie hatte unruhig geschlafen, gestört von den Geräuschen klatschender Schläge, die nur gespielt waren, von Michaels gelegentlichem Lachen und, später, seinen Ausflügen ins Bad.

Weitere Kostenlose Bücher