Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
Worte.
»Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen, dass ich der Mensch bin, der ihr jetzt am nächsten steht. Abgesehen von Emily natürlich. Ich möchte Ihr Einverständnis, dass ich es ihr sage und Sie nicht einfach zu ihr gehen undes selbst tun. Danach entscheidet natürlich Diana, wen sie an ihrer Seite haben will.«
»Also, Sie haben wirklich Nerven.« Michael schnaubte vor Empörung. »Marschieren hier rein und schreiben mir vor, was ich und was ich nicht zu jemandem sagen darf, den Sie noch nicht mal ein halbes Jahr kennen.«
»Wie lange waren Sie mit Diana verheiratet?«
»Das geht Sie gar nichts an.«
»Und Sie glauben, Sie hätten sie gekannt? Sie meinen, Sie hätten während Ihrer Ehe eine Menge Zeit und Energie darauf verwendet, Diana kennenzulernen?«
»Natürlich, das ist doch klar.«
»Ich bin überzeugt, als es vorbei war, wussten Sie nicht einmal ihre Schuhgröße oder ihre Augenfarbe und schon gar nicht irgendetwas wirklich Wichtiges über sie.«
Jackie Verdon glaubte, Michael wolle sie schlagen, so ruckartig, wie er aufsprang. Sie schreckte in ihrem Sessel zurück und riss die Arme hoch, um ihr Gesicht zu schützen. Als sie sie wieder senkte, war Michael schon aus dem Zimmer.
Über die gefällig angerichteten Kekse hinweg sahen Jackie und Lorraine einander an.
»Es tut mir wirklich leid«, sagte Jackie. »Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich hätte das niemals sagen sollen.«
»Michael muss in letzter Zeit viel aushalten.«
»Natürlich. Es liegt einfach daran, dass sich immer gleich mein Beschützerinstinkt meldet, wenn es um Diana geht. Verstehen Sie?«
Lorraine nickte. »Ich glaube, ja.«
Jackie ergriff ihre Hände. »Es gibt nichts Neues über Emily?«
Lorraine entzog ihr ihre Hände und schüttelte den Kopf.
»Ich wollte, ich könnte Ihnen etwas Tröstendes sagen.«
»Es gibt nichts.«
Jackie reichte ihr eine Karte. »Da wohne ich die nächsten Tage, bis Montag oder Dienstag nächster Woche. Wenn doch etwas geschehen sollte, geben Sie mir bitte Bescheid. Wenn ich mit dem Arzt gesprochen habe und er meint, dass Diana fit genug ist, sage ich ihr, was mit Emily ist, bevor ich nach Yorkshire zurückfahre. Oder sage ihr wenigstens etwas.« Sie sah weg. »Bereite sie gewissermaßen auf das Schlimmste vor.«
Lorraine brachte sie zur Tür. Oben lief der Fernseher, die Wiederholung einer alten Western-Serie, das harte Leben in Pionierzeiten.
»Sagen Sie Ihrem Mann, sagen Sie Michael, dass mir leidtut, was ich gesagt habe. Er macht schon genug durch, da braucht er nicht obendrein noch meine Eifersucht und meine schlechte Laune.«
»Eifersucht?«
»Ach, Diana war auch noch lange nach der Trennung emotional an Michael gebunden. Zu einer Zeit, als ich sie gern für mich gehabt hätte.«
Sie drückte kurz ihre Wange an die von Lorraine und öffnete die Haustür. »Ich hoffe, Sie hören bald etwas über Emily. Und ich wünsche Ihnen von Herzen, dass es gute Nachrichten sind.«
Lorraine blieb an der Tür stehen und sah Jacqueline Verdon nach, bis diese verschwunden war. Dann machte sie die Tür zu und ging ins Wohnzimmer, um das Kaffeegeschirr abzuräumen. Sie dachte über die Beziehung zwischen diesen beiden Frauen nach, zwischen Diana und Jackie, wie fürsorglich die ältere Frau gewirkt hatte, entschlossen, die Freundin zu beschützen wie eine Löwin ihr Junges. Sie wusste, sie sollte nach oben zu Michael gehen, und sei es, um einfach bei ihm zu sitzen, sich mit ihm das Treiben von Pferden, Hunden und Menschen anzusehen und seine Hand zu halten, wenn er es wollte. Eines Tages wirst du esbitter bereuen, hatte ihre Mutter gesagt. Aber so, dachte Lorraine und versuchte gar nicht erst, gegen die Tränen anzukämpfen, so konnte sie es doch nicht gemeint haben.
42
Naylor jonglierte mit dem Tablett, ohne allzu viel zu verschütten: zwei Tee und ein Kaffee, Zucker, Milch, Plastiklöffel. Resnick stand am Fenster und schaute hinaus. Shepperd saß in unveränderter Haltung da, mit hängenden Schultern, die Arme zwischen den Beinen, die Finger aneinandergelegt, aber nicht verschränkt. Schon ziemlich zu Beginn der Sitzung hatte Resnick Shepperds wachsende Nervosität bemerkt, die Unsicherheit beim Sprechen, den schnell pochenden Nerv an seinem Auge, den Schweiß. Er schien kurz davor zu sein, entweder ganz dichtzumachen oder einen Anwalt zu verlangen. Resnick passte in diesem Moment keines von beidem.
»Wie ist der Tee, Stephen?« Sie setzten sich ihm gegenüber, Naylor etwas
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