Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
Sie?«
»Genau.«
»Ich bin sicher, Sie raten ihm davon ab. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass er seine sexuellen Vorlieben in sämtlichen Zeitungen breitgetreten sehen möchte.«
Suzanne Olds zog eine Augenbraue hoch. »Ich hätte Sie nicht für prüde gehalten.«
Resnick trank von seinem Espresso. »Schon wieder ein Irrtum«, sagte er.
Suzanne Olds lachte, ahnte aber wohl, dass es tatsächlich so war. Einmal, nach zu viel Champagner anlässlich eines großen Siegs, hatte sie ihn deutlich wissen lassen, dass sie es weder schockierend noch beleidigend fände, wenn er sie anbaggern würde. Resnick hatte daraufhin ebenso deutlich gemacht, dass bereits ihre bestehende, rein dienstliche Beziehung für ihn an die Grenzen des Erträglichen stieß.
»Emily Morrison«, sagte Suzanne Olds, »ist immer noch nicht gefunden?«
Erneutes Kopfschütteln.
»Und Sie sind einer Spur nicht näher?«
Glorias Großmutter hatte gemeint, Stephen Shepperd aus der Schule zu kennen, als man ihr die Zeichnung zeigte, aber sie konnte sich nicht erinnern, ihn je mit Gloria gesehen zu haben. Die Schulleiterin war nochmals über ihre Beobachtung in der Garderobe befragt worden, mit dem Resultat, dass sie jetzt unsicher war, ob Gloria überhaupt unter den Kindern dort gewesen war. Lynn Kellogg hatte Joan Shepperd nach der Schule abgepasst und nichts als frostiges Schweigen und einen eisigen Blick geerntet.
»Nein«, bekannte Resnick. »Nicht wesentlich.« Er trank den letzten Schluck Espresso und hob seine Einkaufstüte auf. »Vielen Dank für den Kaffee«, sagte er und machte, dass er wegkam.
»Ich wollte zu Debbie«, sagte Lynn Kellogg zu Debbies Mutter, die, unnahbar in knitterfreiem Polyester, auf der Türschwelle stand.
»Sind Sie mit ihr befreundet?«
»Nicht direkt, aber wir kennen uns.«
»Sie sind eine Freundin von Kevin.« Als hätte sie eine ansteckende Krankheit.
»Kevin und ich arbeiten zusammen, ja.«
»Ich glaube nicht, dass Debbie Sie sehen will.«
Lynn nahm eine Haltung ein, die klar sagte, dass sie so leicht nicht abzuwimmeln war. »Das sollte sie aber«, entgegnete sie.
Wenn es möglich gewesen wäre, irgendwohin zu gehen, hätten sie das getan, so aber setzten sie sich stattdessen in Lynns Auto. Lynn hatte den Eindruck, dass Debbie einerseits froh war, aus dem Haus zu sein, außer Reichweite ihrer Mutter, andererseits aber beunruhigt, unsicher, wie sie sich verhalten, was sie sagen sollte.
Während es draußen kälter und dunkler wurde, sprachen sie über das Baby, über Debbies Bemühungen, sich wieder einen Teilzeitjob zu suchen, über Kleider, kurz, über alles andere als über das, was eigentlich der Anlass für dieses Treffen war, wie sie beide wussten.
»Wie geht es Kevin?«, fragte Lynn unvermittelt, während Debbie noch etwas von Beißringen erzählte.
»Ich weiß nicht.« Sie stockte.
»Aber du siehst ihn?«
»Ich habe ihn in letzter Zeit nur ein Mal gesehen. Es hat nichts gebracht. Es war völlig sinnlos.«
»Wie meinst du das?«
»Wir haben gestritten. Wir haben nur gestritten.«
»Was hattest du denn erwartet?«, fragte Lynn scharf.
»Na ja …«
»Na ja, was?«
»Was soll es denn für einen Sinn haben, wenn wir uns nur streiten, obwohl wir uns ewig nicht gesehen haben?«
»Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass ihr streitet.«
»Was meinst du damit?«
»Pass auf.« Sie drehte sich halb herum, sodass sie Debbie ins Gesicht sehen konnte. »Warum ihr euch getrennt habt, wer wen verlassen hat, das geht mich nichts an. Aber da es nun mal passiert ist, kannst du doch meiner Ansicht nach gar nichts anderes erwarten, als dass ihr streitet. Jedenfalls zuerst mal.«
»Und was soll das Ganze dann für einen Sinn haben?«
»Ihr müsst versuchen, die Dinge zu klären. Das ist der Sinn. Ihr müsst sie durchdiskutieren. In eurer Beziehung ist etwas schiefgelaufen. Klar, dass ihr euch nicht gleich wieder selig in die Arme fallt. Ihr müsst dran arbeiten, und das wird sicher nicht leicht, aber anders geht es nicht.« Sie wartete, bis Debbie sie wieder ansah. »Es sei denn, du willst gar nicht mehr. Dann solltest du, finde ich, ehrlich sein und es offen sagen, dich scheiden lassen.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Debbie antwortete nicht; sie blickte aus dem Fenster zu der Reihe fast gleich aussehender Häuser, in denen die Lichter brannten; zu einem vielleicht zwölfjährigen Jungen mit einer rot-weißen Wollmütze, der mit seinem Skateboard in Schlangenlinien den Bordstein hinauf-
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