Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
Plakaten rumliefen und aus der Bibel vorlasen. Ein echter Albtraum. »Dieses ganze verdammte Gesocks«, sagte sein Vater, »gehört hinter Schloss und Riegel.« Raymond gab im Allgemeinen nicht viel auf das, was sein Vater sagte, aber in dem Fall musste er ihm recht geben.
Er entdeckte Sara nicht gleich und war enttäuscht, glaubte schon, sie hätte den Tag freigenommen, aber dann sah er sie hinten aus dem Lager in den Laden kommen. Er wartete, bis sie die Behälter aufzufüllen begann, ehe er hineinging.
Sara, die ihn schon durchs Schaufenster gesehen hatte, fuhr mit ihrer Arbeit fort, auch als er sich direkt neben sie stellte.
»Was ist los?«, fragte Raymond.
»Wie meinst du das?«
»Warum redest du nicht mit mir?«
»Du siehst doch …«, mit der Metallschaufel verteilte sie die Erdbeerbonbons gleichmäßig im Glas, »… dass ich zu tun habe.« Sie drehte sich nach ihm um. »Raymond, ich habe keine Zeit.«
»Ich wollte nur Hallo sagen.«
»Hallo.«
»Ich hatte keine Lust, zu Hause rumzuhängen. Ich war fertig. Ich hab mir gedacht, ich komm gleich her und warte draußen auf dich.«
Sara warf einen Blick zur Geschäftsführerin, die sie mit steinerner Miene beobachtete. Sie ging drei Gläser weiter und begann, die altmodischen Seidenkissen aufzufüllen. »Du brauchst sowieso nicht zu warten«, sagte sie.
»Ich dachte, wir wollten ausgehen?«
»Nein, geht nicht.«
»Was soll das …?«
»Leise, Raymond. Bitte.«
»Du hast gesagt, heute Abend ginge es.«
»Habe ich ja auch gedacht. Aber jetzt geht’s eben doch nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich muss meiner Mutter helfen.«
Raymond packte sie am Arm. »Du meinst, du hast keinen Bock auf mich. Stimmt doch, oder? Du bist nur zu feige, es mir ins Gesicht zu sagen.«
Die Geschäftsführerin näherte sich zielstrebig. Der Druck von Raymonds Fingern tat Sara weh, bestimmt hatte sie schon einen blauen Fleck.
»Sara?«, rief die Geschäftsführerin.
»Morgen«, sagte Sara. »Morgen nach der Arbeit. Ich verspreche es dir. Geh jetzt. Bitte, geh.«
»Sara«, sagte die Geschäftsführerin, »Sie wissen, dass hier gewisse Regeln gelten.«
»Ja, Miss Trencher«, antwortete Sara mit rotem Kopf.
Miss Trencher, dachte Raymond, war eine alte Kuh, die mal gründlich durchgebumst werden musste. Die Hände in den Taschen schlurfte er ohne Eile zum Ausgang.
»Ist das ein Freund von Ihnen, Sara?«
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Sara, immer noch rot im Gesicht.
»Ich möchte ihn nicht mehr im Laden sehen. Abgesehen von allem anderen riecht er.«
An manchen Tagen machte es Resnick nichts aus, an der Feinkosttheke anzustehen und zu warten, während diese oder jene Verkäuferin auf Polnisch mit einem alten Herrn in schlechtsitzendem Anzug schwatzte, oder die dicke Frau mit dem Einkaufsnetz sieben verschiedene Wurstsorten wählte und dabei das Neueste von ihrer Cousine in Lodzerzählte. An diesem Nachmittag jedoch wurde er immer nervöser und ungeduldiger und unterbrach schließlich die Gespräche mit dem Hinweis, dass er die marinierten Heringe gern noch vor Ablauf des Verfallsdatums einkaufen würde, was nicht gerade wohlwollend aufgenommen wurde.
Als er schließlich seine Tüte – ein halbes Pfund Heringe, ein Stück Leberwurst, ein Viertel schwarze Oliven, Käsekuchen, saure Sahne – am Kaffeestand absetzte und auf seinen Hocker kletterte, verdarb es ihm vollends die Laune, gegenüber am Tresen Suzanne Olds mit ihrem herablassenden Lächeln sitzen zu sehen.
»Cappuccino?«, fragte Marcia, eine kräftige, gutmütige junge Frau, die Motorrad fuhr und in einer Rockband die Bassgitarre spielte.
»Espresso.«
»Einfach oder doppelt?«
»Einen doppelten.«
»Der geht auf meine Rechnung.« Suzanne Olds kam um den Tresen herum und setzte sich auf den Hocker neben ihm.
»Nein, nein, lassen Sie«, sagte Resnick.
Suzanne Olds legte ihre Umhängetasche auf das Bord unter dem Tresen. »Möchten Sie etwas dazu?« Sie zeigte auf die Stapel von Donuts und Scones unter den Plastikdeckeln.
Resnick schüttelte den Kopf.
»Hm«, sagte sie mit lächelndem Blick auf seinen überhängenden Bauch, »ist wahrscheinlich auch besser.«
Resnick setzte sich gerader und zog den Bauch ein. Marcia brachte ihm den Espresso und Suzanne Olds gab ihr einen Fünfpfundschein. »Wenn mein Mandant Sie verklagt«, bemerkte sie und streckte die Hand aus, um das Wechselgeld in Empfang zu nehmen, »brauchen Sie vielleicht jeden Penny, den Sie besitzen.«
»Kilpatrick, meinen
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