Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
sich einzuleben.
»Und Susan?«, brachte Edith mühsam hervor.
»Sie kann doch jederzeit rüberkommen. In den Ferien. Ich schicke ihr das Geld für die Tickets.«
Aber alles, was er geschickt hatte, waren Ansichtskarten gewesen und einmal eine Mickymaus, der auf dem Flug ein Bein abhandengekommen war. Susan trotzte und weinte und behauptete, es wäre ihr egal: bis zu dem Tag, als sie das erste Mal die ganze Nacht ausblieb und am nächsten Morgen, nachdem ein Fünfundzwanzigjähriger in einem rotgold lackierten Cortina sie abgesetzt hatte, ihrer Mutter ins Gesicht sagte: »Es ist mein Leben, und ich mache, was ich will. Von dir lass ich mir gar nichts sagen.« Das war kurz vor ihrem fünfzehnten Geburtstag.
Edith blickte mit nassen Augen zur Teekanne vor dem Kamingitter. »Da ist wahrscheinlich nur noch ein schäbiger Rest drin?«
Resnick versuchte ein Lächeln. »Ich mache noch mal welchen.«
»Nein.« Sie stand auf. »Lassen Sie mich das machen. Es ist mein Haus, zumindest mein Ferienhaus. Sie sind der Besuch.«
Er folgte ihr in die winzige Küche; jedes Mal, wenn sie nach etwas greifen wollte, den Zigaretten oder dem Milchbehälter, musste Resnick den Bauch einziehen und die Luft anhalten.
»Sie war sechzehn, als sie mit Gloria schwanger wurde«, fuhr Edith fort, während sie den Tee ziehen ließ. »Ich war eigentlich nur überrascht, dass es nicht schon früher passiert war. Aber wenn ich was gesagt habe, ich meine, dass sie vorsichtig sein soll, wenn ich was von Verhütung gesagt habe, ist sie mir sofort über den Mund gefahren und hat gesagt, ich solle mich um meine eigenen Sachen kümmern. Ich hätte wahrscheinlich nicht lockerlassen dürfen und sie zum Arzt schleppen müssen, oder zur Beratungsstelle, auch wenn sie noch so wütend gebrüllt und um sich geschlagen hätte.« Sie seufzte und rührte den Tee noch einmal um, ehe sie einschenkte. »Aber ich hab’s nicht getan. Ich habe es einfach laufen lassen. Hier.« Sie reichte ihm Tasse und Untertasse. »Ich hoffe, er ist nicht zu stark.«
Resnick schüttelte den Kopf. »Perfekt«, sagte er und sie gingen wieder ins andere Zimmer.
»Wie sich rausstellte«, berichtete Edith, als sie sich gesetzt hatte, »war sie bei so einer Bande von Kerlen gelandet, die eigentlich alt genug gewesen wären, um vernünftiger zu sein. Sie hatten sie rumgereicht wie einen Wanderpokal. Jeder von ihnen hätte der Vater sein können, und natürlich hat keiner sich dazu bekannt. Susan war zu schlecht beieinander und zu wütend, um den Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen, mit Bluttests und dergleichen.«
Edith beugte sich in ihrem Sessel vor und schnippte Asche von ihrer Zigarette auf die beigefarbenen Fliesen vor dem Kamin.
»Sie hätte abtreiben können, aber ich glaube, sie hatte zu große Angst. Sie redete immer nur von Adoption. Ich habe wahrscheinlich im Stillen gehofft, das würde sich ändern, wenn das Baby erst da wäre. Aber nein. Susan ist sich immer schon selbst die Nächste gewesen. Was sie mehr kostete, als den Mund auf- und die Beine breit zu machen, interessierte sie nicht.«
Edith setzte klirrend ihre Tasse ab und sah Resnick an. »Wie konnte ich nach dem, was ich bei der Erziehung meiner Tochter angerichtet habe, nur glauben, ein zweites Mal würde ich es besser machen?«
Resnick nahm ihr Tasse und Untertasse ab, drückte die Zigarette aus und umfasste ihre Hände. »Glauben Sie mir, was passiert ist, ist nicht Ihre Schuld«, sagte er.
Es dauerte lang, ehe sie antwortete. »Nein?«, fragte sie dann. »Aber wer musste denn unbedingt weglaufen und sie allein lassen? Nur wegen einer Schachtel Zigaretten. Wer war das denn, hm?«
Erst als ihm beinahe die Arme einschliefen und sein Hosenbein von der Hitze des Elektrokamins versengt zu riechen begann, machte Resnick sich von ihr los.
Draußen hatte es aufgehört zu regnen, aber der Wind, der über die Straße fegte, war schneidend. Als Resnick einen Moment neben seinem Wagen stehen blieb, ehe er einstieg, konnte er von fern das Zischen und Klatschen der See hören, das dumpfe Rollen der rücklaufenden Brandung. Und da er nichts anderes tun konnte, drehte er den Schlüssel im Zündschloss, löste die Handbremse, legte den Gang ein und setzte den Blinker zum Zeichen, dass er losfahren würde.
10
»Hast du das gesehen?«
»Was sagst du?«
»Ich sagte, hast du gesehen …«
»Lorraine, warte doch, so versteh ich doch kein Wort.«
Lorraine verkniff sich einen Seufzer und ein Kopfschütteln, schob die
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