Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
Finger wickeln ließ; eine dicke, höckrige Gewürzgurke, in Scheiben geschnitten auf Corned Beef, zusätzlich gewürzt mit einem großzügigen Klacks grobem Senf. Dazu vier kleine Kirschtomaten, deren süßes Fleisch mit den winzigen Kernen in seinem Mund zerplatzen würden. Resnick nahm Tempo weg, um einen Landrover vorbeizulassen; noch so ein verarmter Bauer, der es eilig hatte, zur Bank zu kommen.
Mit einer Hand fummelte er eine Kassette aus der Hülle, schob sie ein und drehte die Lautstärke höher. Die Basie Band in ihrer ersten Glanzzeit, 1940, noch vor dem Kriegseintritt der USA . Ein Wirbel von Riffs, vom Klavier gelockt und geführt, während die Solisten die Klänge ihrer Instrumente zu spitzen Höhen emporschraubten und der letzte von ihnen – Lester – sich mit hellem Ton vom Beat tragen ließ.
Lester Young.
Ständig mit der Band auf Tour, war er der Einberufung bis 1944 entgangen, als ein vermeintlicher Fan sich als Musterungsoffizier entpuppte. Obwohl bei der Untersuchung Syphilis und Abhängigkeit von Alkohol, Barbituraten und Marihuana festgestellt wurden, kam Lester als Gefreiter 39 729 502 zur Armee. Keine sechs Monate später wurde er von einem Militärgericht unehrenhaft entlassen und musste für beinahe ein Jahr ins Gefängnis. Noch vor der Verurteilung wurde bei ihm eine konstitutionelle Psychopathie diagnostiziert, ein Leiden, für das der zehnmonatige Aufenthalt im Straflager der US -Armee in Fort Gorton, Georgia, eine todsichere Kur war.
Resnick klemmte die Thermosflasche zwischen die Knie, schraubte sie auf, trank einen ausgiebigen Schluck und spulte das Band zurück, um sich noch einmal »I Never Knew« anzuhören. Eines dieser Lieder, die Gus Kahn wahrscheinlichzwischen zwei Zigarren am Klavier hingeworfen hatte. Die Posaune hat das erste Solo, ein Gleiten auf langen Melodienbögen vom rauen Ton zum weichen Legato; dann ist Lester dran, das Tenor steil zum Mikro sucht er sich auf isolierten Tönen wie auf Trittsteinen seinen Weg, bis er, sein Ziel vor Augen, auf Zweiunddreißigsteln voll Stolz und Schönheit nach Hause fliegt und sich die Melodie und den Augenblick ganz zu eigen macht. Resnick konnte ihn vor sich sehen, wie er sich mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken zurücklehnt, ein spindeldürrer Mann mit rötlichem Haar und grünen Augen im Bandjackett, das vielleicht ein wenig zu weit ist, während hinter ihm die Blechbläser zum fahnenflatternden Finale aufstehen.
Was bringt uns dazu, einen Mann, der trotz Krankheit und Selbstzweifeln solche Schönheit hervorzubringen vermag, in ein Militärgefängnis zu werfen und ihm, einem vierunddreißigjährigen hellhäutigen Schwarzen im tiefsten Georgia, alles zu verwehren? Was treibt uns dazu, ein kleines Mädchen mit porzellanblauen Augen und blondem Haar zu zerstören und in Müllsäcke verpackt in fauliger Dunkelheit zu begraben?
»I Never Knew«.
Resnick trat das Gaspedal weiter durch und drehte das Band so laut, dass der Klang am Rand der Verzerrung zitterte und alle anderen Geräusche, alles Denken ausblendete.
Mablethorpe, knapp fünfunddreißig Kilometer von Skeggy entfernt die Küste hinauf und seit jeher in seinem Schatten, empfing Resnick mit der winterlichen Trostlosigkeit einer Romanszene von Dickens. An der einzigen Hauptstraße versprachen mit Brettern vernagelte Ladenfronten Kandiszucker, Zuckerwatte, Riesenhotdogs und frisch gebackene Donuts, fünf Stück für ein Pfund, doch nichts davon gab es. Ein weißhaariger Mann in einem alten Militärmantel nickteihm zu, während sein kraushaariger Foxterrier flüchtiges Interesse an Resnicks Hosenbein zeigte. Die Betonpromenade weiter oben war so einladend wie die Maginot-Linie. Und dahinter, beinahe im Nebel verschwunden, wogte die Nordsee, kalt und unerbittlich.
Edith Summers hatte ihre Hochhauswohnung gegen einen Bungalow mit Rauverputz eingetauscht, der aus den 1930er Jahren stammte. Drei Häuser weiter an der Ecke war ein Café, das frisch gefangenen Kabeljau mit Fritten anbot (Tee inklusive, Brot und Butter extra). Sie sagte nichts, als sie Resnick mit hochgezogenen Schultern in Wind und Nieselregen vor ihrer Tür stehen sah.
Sie hatte ihr Goldfischglas und den Tisch mit dem Goldrand mitgenommen, jedoch einen neuen Fernsehapparat gemietet, der auf einem schwarzen Metallwagen stand. Auf dem Bildschirm schmachtete Petula Clark in schlecht eingestellter Farbe Fred Astaire an, der mit misslungenem irischen Akzent »How Are Things in Glocca Morra?« sang. Edith ließ
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