Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
Zeitung beiseite und nippte an ihrem rotenHenkelbecher mit dem koffeinfreien Nescafé, Gold Blend. Auf dem Ceranfeld köchelten Kartoffeln und Karotten; in fünf Minuten würde sie Gefriererbsen aus der Familienpackung in einen kleinen Topf mit kochendem Wasser geben und einen Teelöffel Zucker und eine Prise Salz hinzufügen, wie ihre Mutter das immer tat.
Dann würde sie auch gleich im Ofen nachsehen, den Fisch in der Folie, wenn er fertig war, weiter nach unten setzen und die Temperatur für die Sara-Lee-Apfeltasche einstellen, Michaels Lieblingsgebäck, zu der Sahne und Vanillesoße gehörten.
»Merkst du eigentlich, dass du das ständig machst?« Michael war hereingekommen, noch dabei, sich die Haare zu frottieren.
»Was?«
»Dass du immer mit mir redest, wenn ich dusche. Als könnte ich ein Wort von dem verstehen, was du da pausenlos quasselst.«
»Michael, ich habe nicht pausenlos gequasselt.«
»Na ja«, er versuchte, ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken, verfehlte sie aber, »was auch immer du getan hast, ich hab nichts davon mitbekommen.«
Sie hatten das Haus vor einem Jahr gekauft, fünftausend Pfund heruntergehandelt dank fallender Immobilienpreise, Vorhänge und Teppiche inklusive. Die allerdings, das hatte Lorraine ihrem Mann damals sofort zu verstehen gegeben, würde sie ausrangieren, sobald sie es sich leisten konnten; sie waren überhaupt nicht ihr Geschmack. Noch eine Bedingung hatte Lorraine gestellt: eine neue Küche, anständige Arbeitsplatten, leicht sauber zu halten, Strom statt Gas. Und neben der Küche war eine Kammer, aus der man doch bestimmt eine Dusche machen könnte, ohne dass es gleich ein Vermögen kostete? Dann würden sie sich morgens nicht in die Quere kommen.
Und Michael Morrison, gerade zum zweiten Mal verheiratet, mit einer jüngeren Frau diesmal, die – wie nicht anders zu erwarten – ihren eigenen Kopf hatte, tat, was er konnte, um dafür zu sorgen, dass alles klappte. Die Fehler, die er beim ersten Mal gemacht hatte, in der Ehe mit Diana, würden ihm ganz gewiss nicht noch einmal passieren.
Außerdem war die zusätzliche Dusche eine gute Idee. Er ging zwar sehr viel früher aus dem Haus als sie, aber Lorraine stand gern mit ihm zusammen auf, einerseits, damit sie ihm ein anständiges Frühstück machen konnte, andererseits, weil sie, wenn Michael gegangen, die Wäsche in der Maschine und das Geschirr weggeräumt war, gern noch eine Weile beim Kaffee saß und in Ruhe die ›Mail‹ las. Da ließ sich immer eine pikante kleine Meldung finden, die man ins Gespräch mit den Kollegen in der Bank, vielleicht sogar den Kunden einfließen lassen konnte. »Haben Sie das gelesen …?«, während sie die Beutel mit den Münzen abwog. Das sorgte für eine persönliche Note zwischen all den unverbindlichen Automaten an der Wand.
»Was gibt’s denn zum Abendessen?«, fragte Michael, der ins andere Zimmer gegangen war und jetzt mit der Scotchflasche in der Hand zurückkam. Lorraine sah das gar nicht gern, zumal sie wusste, dass er sich wahrscheinlich bereits im Zug einen oder zwei genehmigt hatte. Früher hätte sie vielleicht etwas gesagt, aber inzwischen war sie klüger. Man biss sich auf die Zunge und schluckte die Bemerkung hinunter.
»Fisch«, antwortete sie.
»Das weiß ich, aber was für Fisch?«
»Lachs.«
Er blieb stehen, sah sie an und goss schließlich zwei Fingerbreit Scotch in das Glas mit dem dicken Boden.
»Er ist ganz frisch«, fügte Lorraine hinzu. »Von Sainsbury’s.«
»Filet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist ein ganzer Fisch.«
»Das wird ja einiges gekostet haben.«
»Er war im Angebot.«
»Aha, sie mussten ihn loswerden. Bist du sicher, dass er in Ordnung ist? Wirklich frisch?«
Was glaubte er denn, dass sie über sechs Pfund für Fisch hinlegte, der nicht frisch war? »Heute Morgen gefangen, der Verkäufer hat mir sein Wort darauf gegeben.«
Michael gab etwas Wasser zu seinem Scotch, nicht zu viel; welchen Sinn hatte es, guten Whisky zu kaufen, wenn man ihn dann nur verwässerte? »Diesen Verkäufern kann man nicht glauben«, sagte er. »Die wollen doch nur ihr Zeug loswerden. Kann man ja auch verstehen, ist schließlich ihr Job. Wenn man dafür ein bisschen an der Wahrheit drehen muss, na ja …«, er kostete von seinem Drink, »… dann dreht man eben.«
Michael verkaufte auch. Werkzeugmaschinen. Er hatte es ihr einmal im Detail erklären wollen und war, als sie nicht gleich begriffen hatte, gekränkt mit dem Vorwurf abgerauscht,
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