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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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sie sei ja vernagelt. Aber sie wollte jetzt nicht über Michael nachdenken und die Gelegenheiten, bei denen er versucht sein könnte, an der Wahrheit zu drehen.
    »Er ist überhaupt kein Verkäufer«, sagte sie, »er ist Fischhändler.«
    Michael lachte und kippte verstohlen noch etwas Whisky in sein Glas. »Da trägt er wohl eine gestreifte Schürze und einen Strohhut, wie?«
    »Ja, du wirst lachen, genau das trägt er.«
    Michael neigte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss; nicht auf den Mund, aber doch einen Kuss. Wenn er nur nicht immer so gönnerhaft wäre.
    »Und wie viel hat dieser Lachs nun gekostet?«
    »Nur vier Pfund. Ich habe doch gesagt, er war im Angebot.«
    Michael rümpfte die Nase. »Vier Pfund. Wollen wir hoffen, dass er gut ist.«
    Nach dem Abendessen legte sich Michael gern im Wohnzimmer gemütlich in den Sessel, wobei er mit Vorliebe ein Bein über die Armlehne baumeln ließ. Dabei wusste Lorraine aus endlosen Vorhaltungen ihrer Mutter damals, wie schlecht das für die Bezüge war. Zusammen schauten sie dann noch eine Weile fern, wenn Lorraine in der Küche fertig war. Meistens musste sie ihn wach stupsen, dann sahen sie sich vielleicht die Schlagzeilen der Nachrichten an, und wenn es nichts Besonderes gab, wie ein Flugzeugunglück oder wieder einmal eine Massenkarambolage auf der M1, machten sie sich bettfertig.
    Manchmal, vor allem an den Wochenenden, blieben sie länger unten, und Michael legte Chris de Burgh auf, Chris Rea oder Dire Straits.
    Als er das erste Mal mit ihr geschlafen hatte, in dem Apartment, in das er nach der Trennung von seiner Frau gezogen war, hatte er »The Lady in Red« auf Dauerschleife programmiert. Das wird unser Lied, hatte Lorraine gedacht, es aber nie gesagt.
    Auch jetzt kam es noch vor, dass Michael ihr auf den Ellbogen gestützt beim Auskleiden zusah und, wenn sie auf dem Weg zum Badezimmer an ihm vorbeikam, den Arm ausstreckte, um ihre Beine zu berühren, die Innenseite ihres Oberschenkels zu streicheln.
    Freitags. Gelegentlich auch samstags, meistens wenn sie mit Freunden beim Essen gewesen waren und Michael einer anderen Frau in den Ausschnitt gestarrt hatte, während er die dritte Flasche Wein herumgehen ließ.
    Lorraine erinnerte sich an einen Abend vor ungefähr einem Monat, an dem ihr besonders zärtlich zumute gewesen war. Sie hatte selbst eine CD aufgelegt, sich neben MichaelsSessel auf den Teppich gesetzt und den Kopf an seine Knie gelehnt. Als »The Lady in Red« erklang, hatte sie mit leiser Wehmut in der Stimme gefragt: »Weißt du noch, wann wir das zum ersten Mal gehört haben, Michael?«
    »Nein«, hatte Michael geantwortet. »Sollte ich?«
    Lorraine saß vor dem Spiegel und tupfte sich mit einem rosa Wattebausch die Augen ab. Im Badezimmer konnte sie Michael urinieren hören, nie hätte ihre Mutter so etwas geduldet. Sie predigte Lorraines Vater ständig, wenn er es schon nicht fertigbringe, seinen Strahl geräuschlos an die Seitenwände der Schüssel zu lenken, solle er wenigstens die Güte haben, den Kaltwasserhahn aufzudrehen, bis er fertig sei. Michael machte nicht einmal die Tür zu.
    Und was das Furzen anging, so existierte für ihre Mutter wohl noch nicht einmal das Wort, geschweige denn das Phänomen. So etwas gab es nicht im hochanständigen Rugeley, wo sie lebten.
    »Müde?«, fragte sie, als Michael sich neben ihr ins Bett fallen ließ.
    »Fix und fertig.«
    »Du Armer.«
    Sie schob die Hand unter die Bettdecke und begann, zart seinen Bauch zu streicheln, ganz sachte, aber er grunzte nur, schüttelte ihre Hand ab und wälzte sich auf die andere Seite.
    Das war’s dann wohl.
    Wäre sie Julia Roberts in ›Pretty Woman‹, dachte Lorraine, würde sie sich nicht so leicht abservieren lassen. Dann würde sie ihm jetzt den Rücken kraulen und dabei ihre Finger immer tiefer wandern lassen, an seinen Pobacken vorbei, und warten, bis seine Beine sich öffneten.
    Was garantiert geschehen würde – wenn sie Julia Roberts wäre.
    Jetzt rollte Michael sich auf seiner Seite zusammen und begann zu schnarchen.
    »Michael?« Sie stieß ihn mit dem Fuß an.
    »Ich war fast eingeschlafen.«
    »Ich wollte dir doch vorhin etwas sagen, als du geduscht hast …«
    »Das ist Stunden her.«
    »Ich weiß. Aber …«
    »Aber was?«
    »Dieses kleine Mädchen, das verschwunden ist. Du weißt doch, es hat in allen Zeitungen gestanden …«
    »Ja, was ist mit ihr?«
    »Sie haben die Leiche gefunden. Die Kleine ist ermordet worden.«
    Mit einem Ruck drehte Michael

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