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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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Resnick einen Moment allein in dem niedrigen Raum zurück und kam dann mit einer geblümten Tasse und Untertasse wieder.
    »Ich habe den Tee gerade erst aufgegossen.«
    Als er sich gesetzt hatte und von dem lauwarmen Tee trank, sagte sie: »Ich weiß, warum Sie hier sind.«
    Resnick nickte.
    »Ich hatte recht, nicht wahr?«
    »Ja, aber …«
    »Mit dem, was ich gesagt habe …«
    »Ja.«
    Anfangs glaubte er, sie würde die Beherrschung bewahren, standhalten, bis er weg war, aber da er ihr direkt gegenübersaß, kaum eine Armlänge entfernt, konnte er genau erkennen, wie ihr Gesicht in sich zusammenfiel, einem Ballon gleich, aus dem langsam die Luft entweicht.
    Noch während das erste Schluchzen sie schüttelte, stellte er Tasse und Untertasse weg und ging zu ihr, kniete neben ihr nieder und nahm sie in den Arm, bis sie ihr Gesicht an seinen Hals drückte, die Wange fest am rauen Kragen seines Mantels.
    »Hat er sie, Sie wissen schon, belästigt? Sich an ihr vergangen?« Einige Zeit war verstrichen, die Dunkelheit drängte an die Fenster; Resnick hatte diesmal den Tee gemacht, und die Kanne mit der gestrickten Wärmehaube, die etwas schief saß, stand vor dem Gitter des Elektrokamins.
    »Das wissen wir nicht. Jedenfalls nicht mit Sicherheit. Sie hat ja so lange dort gelegen. Aber ja, man muss es in Betracht ziehen.« Er fröstelte, und es hatte mit äußerer Kälte nichts zu tun. »Es tut mir leid.«
    Edith schüttelte den Kopf. »Ich kann es einfach nicht verstehen. Sie vielleicht? Ich meine, wie kann ein normaler Mensch …?«
    »Nein«, sagte Resnick.
    »Aber diese Menschen sind eben nicht normal. Genau das ist es.«
    Er sagte nichts.
    »Sie sind krank. Einfach krank. Die gehören ausgepeitscht, eingesperrt.«
    Er wollte sie mit einer Berührung seiner Hand beruhigen.
    »Nein, nein. Ist schon gut. Ich schaff das schon.«
    Es war drückend und stickig im Zimmer. Der Elektrokamin verbrannte Resnick des rechte Bein und ließ das linke eiskalt. Unwillkürlich dachte er an die lange Fahrt nach Hause, an die Einsatzbesprechung am nächsten Morgen.
    »Die Beerdigung«, sagte Edith plötzlich. »Was ist mit der Beerdigung?«
    »Vielleicht kann Glorias Mutter …«, begann Resnick und brach ab.
    »Es ist alles meine Schuld.«
    »Aber nein.«
    »Doch. Es ist meine Schuld.«
    »Man kann von niemandem verlangen, dass er ein Kind ständig behütet. Da, wo Sie sie zurückgelassen haben …«
    Aber davon hatte Edith Summers nicht gesprochen. Sie sprach von ihrer Tochter Susan, die, spät geboren, in den ersten neun Monaten ihres Lebens von ihrem Vater überhaupt nicht beachtet und in den folgenden anderthalb Jahren von ihm gejagt und gequält wurde, bis er die Familie verließ und sich in Ilkeston mit einer Frau zusammentat, die er an der Kasse im Supermarkt kennengelernt hatte. Danach ließ er sich kaum noch blicken, Susan wuchs praktisch ohne ihn auf. Und Edith tat nichts dagegen, sie biss lieber die Zähne zusammen, als eine Aussöhnung zu suchen. So war sie nun einmal.
    Als Susan zehn war und ihr elfter Geburtstag näherrückte, schien sich das alles zu ändern. Ihr Vater und die andere Frau hatten sich getrennt, er lebte wieder in der Stadt, mit zwei Taxifahrern zusammen in einem Haus in Top Valley, fuhr ebenfalls Taxi. »Edith«, sagte er immer, wenn er sich bei seinen Besuchen, die sich zu häufen begannen, lächelnd ins Haus schmeichelte, »Edie, mach dich locker. Sie ist auch meine Tochter. Stimmt’s, Prinzessin?« Und dann überhäufte er Susan mit Comicheften, Süßigkeiten und Top-Twenty-Platten für die Stereoanlage made in Taiwan, die er ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. »Dads kleines Mädchen, hm?«
    Drei Jahre ging das so, Blitzbesuche, wenn ihn eine Fahrt in die Gegend führte, Zeit genug, hereinzukommen und das Herz seiner Tochter immer von Neuem zu erobern. Dann kam der Samstag, an dem er Susan einen Kuss auf den Scheitel gab und zu ihrer Mutter sagte: »Also, dann komm. Hol deinen Mantel, wir gehen ins Pub. Mach dir keine Sorgen, Prinzessin. Wir sind gleich wieder da.«
    Bei einem Glas Lager mit Limonade und einem Gin mit Dubonnet für Edith erzählte er ihr von Amerika, von der Frau, die er in ihrem Urlaub hier kennengelernt hatte – »Ich hab sie nur im Taxi mitgenommen, kurze Fahrt von der Lace Hall zum Tales of Robin Hood, wer hätte das gedacht?«. Sie hatte ihn nach drüben eingeladen, war sicher, dass sie etwas für ihn tun, ihm einen Job besorgen könne. Sie würde für ihn bürgen und ihm helfen,

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