Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
er ungestört seinen Spaß haben kann. Geben Sie mir Bescheid, wie Sie vorankommen.«
Resnicks Telefon klingelte, als sie zur Tür hinausgingen. Er hob ab, legte aber eine Hand über die Sprechmuschel.
»Sagen Sie, Lynn, die junge Frau ist nicht zufällig noch hier?«
»Nein, tut mir leid.«
»Macht nichts, wir können auch später noch mit ihr sprechen.«
Lynn zögerte, es gab noch etwas, was sie beschäftigte und was sie loswerden wollte. »Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, aber falls dieser Raymond tatsächlich wusste, dass Gloria Summers da in der Halle lag, wäre das dann nicht der allerletzte Ort gewesen, wo er zum Knutschen hingegangen wäre?«
»Kommt drauf an«, warf Divine schnell ein, »wie pervers er ist.«
»Und wie war der Tee, Raymond? Okay? Gut. Das ist meine Kollegin, Constable Kellogg. Wie gesagt, wir werden Sie nicht mehr lange aufhalten, es müssen nur noch ein paar Kleinigkeiten geklärt werden.«Um sieben nach drei verließ Raymond endlich das Revier. Sein Hemd klebte ihm schweißnass am Rücken, bei jeder Bewegung, bei jedem Schritt roch er den Gestank in seinen Achselhöhlen und zwischen seinen Beinen. Sein Kopf juckte unter dem wirren Haar, und sein rechtes Augenlid zuckte von dem Schmerz, der hart und beharrlich an seiner rechten Schläfe pochte.
Unaufhörlich hatten sie ihn mit ihren Fragen bombardiert, hauptsächlich der Mann, aber die Frau hatte auch mitgemacht, immer wieder dieselben Fragen. Immer wieder Gloria. Wie gut haben Sie sie gekannt? Was haben Sie damit gemeint, als Sie sagten, Sie hatten sie immer im Auge? Haben Sie vielleicht auf sie aufgepasst? Ihrer Großmutter bei den Einkäufen geholfen? Hin und wieder mal was für sie erledigt? Gloria manchmal von der Schule abgeholt? Was würden Sie sagen, wie gut Sie die Kleine kannten? Würden Sie sie beispielsweise als Freundin bezeichnen? So ein Schwachsinn! Wie sollte ein Kind von sechs Jahren seine Freundin sein? Na schön, Raymond, was war sie dann? Sagen Sie es uns.
Er wollte nach Hause und sich waschen. Ein ausgiebiges Bad nehmen. Er wollte etwas Kaltes zu trinken. Am Cob Shop Takeaway gegenüber kaufte er sich eine Dose Ribena und ging über die Derby Road zurück, wo er sich an die Mauer des Versicherungsgebäudes setzte und trank.
Die Kleine war ihm zuerst wegen ihrer wuscheligen blonden Haare aufgefallen, die ihr meistens in allen Richtungen vom Kopf abstanden. Unwahrscheinlich blaue Augen. Wie die einer Puppe. Raymond überlegte, warum er das gedacht hatte. Er hatte keine Schwester, hatte im Leben nie eine Puppe gehabt, nie eine in den Händen gehalten. Nachdem er einmal auf sie aufmerksam geworden war – sie rannte die Straße hinunter auf ihn zu, einen Lutscher in der hochgehaltenen Hand, und ihre Großmutter, ihre Mutter,hatte er damals geglaubt, rief: »Vorsichtig, Kind, vorsichtig. Pass doch auf, um Gottes willen. Was hast du jetzt wieder angestellt. Schau doch nur, sieh dich an.« –, sah er sie auf einmal überall. An der chinesischen Fish-and-Chips-Bude, auf dem Spielplatz, an der Bushaltestelle Hand in Hand mit ihrer Großmutter, ungeduldig, mit schwingenden Armen, immer ein Bein in der Luft, immer in Bewegung. Eines Tages entdeckte er, dass er eine Ecke des Schulhofs einsehen konnte, wenn er den Kopf in einem bestimmten Winkel zum Fenster hinausstreckte. Gloria, wie sie mit all ihren kleinen Freunden schrie und lachte, beim Seilspringen, auf der Rutschbahn, beim Fangenspielen.
9
Resnick hatte die Südverbindung gewählt und war vor Sleaford und Tattershall Bridge, wo man immer mit Staus rechnen musste, von der A 153 abgefahren. Kleinere Landstraßen würden ihn an den äußersten Ausläufern des Moors vorbei sicher durch Ashby de la Launde, Timberland und Martin Dales führen. Hinter Horncastle musste er sich zwischen Salmonby und Somersby entscheiden, dann folgten Swaby, Beesby, Maltby le Marsh, und er war da. Auf der Heimfahrt, hatte er sich vorgenommen, würde er die Panoramastraße durch die Hügellandschaft der Lincolnshire Wolds nehmen; Louth und dann der Turm der Kathedrale von Lincoln, dessen Lichter kilometerweit durch die sich beständig verdichtenden Nebelschwaden reichten.
Aber das würde erst später kommen, als Trost für das, was er jetzt vor sich hatte.
Auf dem Sitz neben sich hatte er eine Thermosflasche Kaffee und Sandwiches in Wachspapier, die er sich vor der Fahrt in dem Delikatessengeschäft gekauft hatte. Emmentalerund hauchdünner Prosciutto, der sich wie Goldblatt um den
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