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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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geh jetzt.« Er umfasste den Türgriff. »Ich möchte gehen.«
    »Sie haben nie jemanden damit bedroht, Raymond? Jemanden gezwungen, etwas zu tun, was er nicht tun wollte?«
    Raymond fummelte am Griff, bis die Tür aufsprang und er aussteigen konnte. Zuerst glaubte er, der Polizist würde ihm nachlaufen und ihn zurückholen. Aber er blieb mit verschränkten Armen am Lenkrad sitzen und grinste Raymond nur an, als dieser rückwärts stolpernd über die Straße rannte.
    Den ganzen Weg die London Road hinunter, die Abkürzung an der Polizeiwache vorbei und den Treidelweg am Kanal entlang schaute Raymond sich immer wieder um, stets in der Erwartung, Divine plötzlich hinter sich zu sehen. Als er endlich mit flatternden Händen sein Zimmer aufgeschlossen hatte und sich auf sein Bett fallen ließ, zitterte er so stark, dass er die Hände fest an seine Seiten drückenmusste. So blieb er reglos liegen, bis das Hemd unter seiner Jacke steif und kalt war.

14
    So einfach konnte es natürlich nicht sein. Der Tag, auf den es ankam, der fragliche Tag, war, wie sich herausstellte, ein Samstag gewesen und kein Dienstag, ganz gleich, wie oft Mark Divine Daten und Wochentage in der Hoffnung auf einen Volltreffer herumschob. Immer kam das Gleiche heraus: Samstag. Zwischen eins und Viertel nach eins. Divine hatte es nachgeprüft. Es gab nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass Raymond an dem Tag in der Arbeit gefehlt hatte, nicht einmal zwei Stunden. Und als er Schluss gemacht hatte, war Gloria Summers bereits seit mindestens vier Stunden verschwunden gewesen.
    Was blieb da noch?
    Ein pickeliger Junge, nervöser Typ, mit unangenehmem Körpergeruch.
    Na toll.
    Ein Junge, der stark schwitzte und ein Messer hatte.
    Was Divine verdross, war die Gewissheit, dass Resnick ihn abblitzen lassen würde, wenn er ihm mit nichts weiter als einem Bauchgefühl kam. Auf Lynn Kellogg dagegen hörte der Chef, sogar auf Patel. Aber Divine – für Resnick, und auch für Millington, war er nichts als ein Muskelprotz mit gestörtem Sozialverhalten, und basta. Sieh zu, dass du deine Einstellung änderst, sonst bist du draußen; mehr als einmal war das angedeutet, einmal sogar klar ausgesprochen worden – damals, als sein Häftling mit blutüberströmtem Gesicht in der Zelle gefunden worden war.
    Er ist ausgerastet, Sir. Diese Verletzungen hat er sich alle selber beigebracht.
    Ebenso gut hätte er versuchen können, dem Erzbischof von Canterbury weiszumachen, dass Mutter Teresa in ihrer Freizeit anschaffen ging.
    »Mach dich locker, Mark«, sagte Millington, zweifellos von oben beauftragt. »Wir wissen, wo dein Raymond ist. Sobald sich irgendetwas ergibt, was auf ihn deutet, schnappen wir ihn uns so schnell, dass er glaubt, ihm wären Flügel gewachsen.«
    Also widmete sich Divine wieder, zusammen mit den anderen, der Verbesserung ihrer Aufklärungsrate, die gegenwärtig um die Dreißigprozentmarke schwankte, den ewigen Nörglern im Innenministerium zum Trotz, die behaupteten, sie bewege sich im einstelligen Bereich. Das bedeutete, dass er von nun an wieder mehr als sechzig Prozent seiner Zeit mit unnötigem Papierkram vertat. Wer immer sich den Police And Criminal Evidence Act ausgedacht hatte, konnte nur ein Bürohengst sein, der für zehn Meter lange Formulare in dreifacher Ausfertigung schwärmte. Und was den Geistesblitz anging, Befragungen aufzuzeichnen, statt sie von einem armen Kerl mit schmerzendem Handgelenk und schmierendem Kugelschreiber Wort für Wort mitschreiben zu lassen – großartig! Einfach genial. Sparte bei der Befragung einen Haufen Zeit, machte die Sache flüssiger, ganz klar, und erschwerte es den verlogenen Schweinen, durch ihren Anwalt behaupten zu lassen, man hätte sie genötigt, auch ganz klar. Nur schien niemand bedacht zu haben, wie viel Zeit notwendig war, um die Aufzeichnungen zu übertragen, jedes Hüsteln, jedes gottverdammte Wort. Es noch einmal abzuspulen, und noch einmal, damit sich nur ja kein Fehler einschlich. Zwar hieß es, dass zusätzliches Personal eingestellt werden sollte, um die Arbeit zu bewältigen, aber was man auf solche Gerüchte geben konnte, wusste Divine nur zu gut.
    Im Dienstraum arbeitete Patel an diesem Morgen emsig unter einem Paar Kopfhörer, Lynn Kellogg schrieb eine Zusammenfassung für das Gericht, wo wiederum Naylor, um Geduld bemüht und ohne zu wissen, ob er überhaupt drankommen würde, auf seinen Aufruf als Zeuge gegen einen Kerl wartete, der gestohlene Autoteile vertickt hatte. Der

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