Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
dadurch nichts besser wird, was die zusammenfurzen ist schlimmer als alles, was ich mit heimbringe. Ich meine, bei den Bohnen und so.«
Divine wartete am Kanal. An das Geländer gelehnt beobachtete er einen alten Mann und einen Jungen. Unverwandt blickten sie auf ihre Angelleinen, die reglos ins glatte, stille Wasser hingen. Zwanzig Minuten vergingen, nichts hatte sich bewegt: weder Mann noch Junge noch Leinen. Wenn das alles ist, was das Leben zu bieten hat, dachte Divine, kann ich’s auch gleich hinschmeißen. Er drehte sich genau in dem Moment um, als Raymond um die Ecke bog, hinter ihm ragten die Flutlichtmasten des Sportgeländes in die Höhe. Divine blieb, wo er war, und wartete darauf, dass der junge Mann ihn erkennen und nervös innehalten würde, bevor er herüberkam.
»Warten Sie auf mich?«
Raymond blieb stehen, mit hängenden Schultern unter seiner Schnäppchen-Lederjacke, bei der sich an manchen Stellen schon die Nähte zu lösen begannen. Fett- und Blutspritzer sprenkelten sein Gesicht und verklebten sein Haar.
»Sie wollen nach Hause«, sagte Divine. »Mein Wagen steht da drüben. Ich nehme Sie mit.«
Raymond sah ihn unsicher mit zusammengekniffenen Augen an. »Nein, lassen Sie nur. Ich gehe lieber zu Fuß.«
Divine griff nach Raymonds Arm. »Nach einem schweren Arbeitstag? Bestimmt nicht.«
»Doch.« Divines Finger umschlossen seinen Ellbogen. »Ich gehe gern zu Fuß. Da krieg ich den Kopf frei.«
Divine senkte seine Hand. »Wie Sie wollen.«
Raymond nickte schnell und wollte um Divine herumgehen, aber der trat ihm in den Weg. »Wir setzen uns einfach ins Auto«, sagte er.
»So, Raymond. Ray.« Ganz entspannt öffnete Divine Raymond die Tür, sodass dieser in den Wagen rutschen konnte. »Wie läuft die Arbeit? Alles in Ordnung?«
Raymond schniefte. Vorgebeugt starrte er durch die Windschutzscheibe.
»Mit dem Chef kommen Sie gut aus?«
»Hathersage? Außer dass er die ganze Zeit rumbrüllt, ist er ganz in Ordnung.«
»Und die anderen?«
Raymond blickte sich um. Was wollte der Kerl mit diesen ganzen Fragen? »Ganz okay. Ich habe nicht viel mit ihnen zu tun. Einer oder zwei von denen, die schon ewig hier sind, bilden sich ein, sie wüssten alles besser. Das ist ein bisschen lästig, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Divine nickte verständnisvoll.
»Na ja, wenigstens sind keine Schwarzen da, das ist immerhin etwas.« Raymonds Finger ruhten selten, musstenimmer etwas zu tun haben, an seiner Hose herumzupfen, an den Nägeln popeln, sich zur Faust ballen. »Sonst wär’s übel. Wir arbeiten schließlich mit Fleisch und so. Großhandel. Wenn man zum Schlachter geht, möchte man sich ja nicht vorstellen, dass so ein Nigger das Stück Fleisch in den Händen gehabt hat, das man gerade kauft.«
Divine musste zugeben, dass der Junge da nicht ganz unrecht hatte.
»Wo bewahren Sie es auf, Raymond? Irgendwo zu Hause? Oder tragen Sie es immer mit sich rum?«
»Was?«, fragte Raymond perplex.
»Das Messer.«
»Ich hab kein Messer.«
»Raymond.«
»Ich hab kein Messer, sag ich.«
Divine starrte ihn amüsiert an. Die Sache begann, ihm Spaß zu machen.
»Wofür sollte ich ein Messer brauchen? Was für ein Messer überhaupt? Ich weiß nichts von einem Messer.«
»Unter dem Bett? In der Jackentasche? Würde mich nicht wundern, wenn Sie es genau jetzt bei sich haben.«
»Nein.«
»Nein?«
»Es liegt in der Schublade.«
»In welcher Schublade?«
»In meinem Zimmer.«
»Bei den Socken?«
Raymond wollte raus aus dem Wagen. Er verstand nicht, warum die Polizei sich so sehr für ein Messer interessierte, was hatte das denn mit irgendwas zu tun?
»Wofür brauchen Sie ein Messer, Raymond? Doch sicher nicht, um in Heimarbeit Schweinebäuche aufzuschlitzen.«
»Zum Schutz.«
»Vor wem?«
»Ganz gleich.«
»Vor Mädchen?«
»Natürlich nicht. Was …«
»Aber an dem Abend hatten Sie es mit?«
Raymond brach der Schweiß aus und lief ihm von der Stirn den Nasenrücken hinunter. »An welchem Abend?«
»Sie wissen schon.« Divine lächelte.
»Nein.«
»An dem Abend, an dem Sie mit Sara zusammen waren; an dem Sie Gloria gefunden haben.«
»Das ist schließlich nicht verboten.«
»Da irren Sie sich aber, Raymond. Das Tragen einer Angriffswaffe, mit böswilligem Vorsatz … Wenn Sie an den falschen Richter geraten, sitzen Sie, das kann ich Ihnen sagen.«
Es war jetzt heiß im Wagen und wurde immer heißer. Raymond roch warmes Fleisch, sein eigenes und fremdes, roch seinen Schweiß. »Ich
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