Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
Sergeant klebte höchstwahrscheinlich in der Herrentoilette mit dem Gesicht am Spiegel und stutzte seinen Schnauzer, und Resnick kämpfte hinter seinem Schreibtisch mit einem Schinkensandwich Größe XL . Und wer war draußen und sorgte für Ordnung?
Wenn er noch einmal von vorne beginnen könnte, dachte Divine, würde er vorher sein Hirn einschalten: Dann würde er Rugbyspieler werden. Ja, oder Gehirnchirurg.
Fertig mit seinem Sandwich, sah Resnick sich noch einmal den Abschlussbefund der Gerichtsmedizin an. Was die Kollegen auf dem alten Bahngelände sichergestellt hatten, war in einem so desolaten Zustand gewesen, dass Tage, nicht Stunden, notwendig gewesen waren, um es zu sichten und alles, was mit dem toten Kind in Berührung gekommen war, zu isolieren. Die Textilien, die mit Akribie aus dem Inneren der Plastiksäcke geborgen wurden, waren größtenteils vermodert, da waren keine brauchbaren Hinweise zu erwarten. Doch unter Glorias Fingernägeln wurden mehrere winzige Fasern eines Textilgewebes gefunden, rot und grün. Von einem Teppich? Einem Läufer? Wahrscheinlicher schien Letzteres, auch wenn niemand darauf wetten wollte.
Wie? Hatte der Mörder den Leichnam in den Läufer gewickelt, ehe er ihn wegschaffte? Ehe er ihn in die Plastiksäcke stopfte? Wenn ja, wie war die Kleine dann transportiert worden? In einem Auto – auf dem Rücksitz liegend oder wie ein Gepäckstück im Kofferraum verstaut? Von jemandem, der Zugang zu einem Lieferwagen hatte?
Es war möglich, sagte sich Resnick, dass der Angriff auf diesem Läufer stattgefunden hatte; der Angriff, der nach all dem, was Gloria vorher vielleicht schon angetan worden war, zu ihrem Tod geführt hatte …
Was war geschehen?
Resnick stand auf und lief, von Bildern bedrängt, die er nicht sehen wollte, ein-, zweimal um seinen Schreibtisch herum. Was war geschehen? Hatte sich das Kind in heller Panik gewehrt, hatte es geschrien und um sich geschlagen? Wurde es mit Gewalt gebändigt, zum Schweigen gebracht und getötet? Es war anzunehmen, dass der Läufer, von dem die Fasern stammten, vernichtet worden war, aber es musste nicht so sein. Möglich, dass er noch irgendwo in einem ganz gewöhnlichen Zimmer lag; in dem Zimmer, in dem Gloria Summers’ kurzes Leben sein Ende gefunden hatte.
Resnick setzte sich wieder. Eines war sicher: Irgendwo in der Stadt lief Glorias Mörder frei herum und führte ein scheinbar ganz normales Leben. Und eines stand zu befürchten: dass dieser Mensch wieder zuschlug, wenn sie ihn nicht rechtzeitig fassten.
Im ersten Moment wollte Raymond am liebsten schnurstracks losgehen und ihr gründlich die Meinung sagen; sie fertigmachen, mitten in ihrem Schlaraffenland aus Gummibärchen und Pfefferminztalern. Aber er wusste, dass das falsch wäre. Der Jähzorn war nicht gut. Er hatte lernen müssen, sich zu beherrschen. Wie oft hatte sein Onkel Terry ihn zur Seite nehmen müssen, um ihn wieder zur Vernunft zu bringen. Ray-o, du kannst nicht so weitermachen, immer gleich mit einem Wutanfall reagieren. Du bist kein kleines Kind mehr. Wenn du so weitermachst, glauben die Leute, bei dir stimmt was nicht. Das war natürlich Quatsch. Totaler Schrott. Bei ihm war alles in Ordnung.
Das Wasser begann kalt zu werden. Raymond drehte die Dusche aus und trocknete sich ab. Zuerst die Haare, kräftig rubbeln, dann Rücken, Schultern, Beine und Arme. Er konnte es auf den Tod nicht leiden, sich anzuziehen, solange nicht jedes Fleckchen Haut absolut trocken war. Da musste man schon aufpassen, wenn man sich keine Erkältung holen wollte; oder, noch schlimmer, Fußpilz, bei dem sich die Haut so eklig zwischen den Zehen schuppte. Und in nassen Klamotten rumsitzen, da kriegte man mit Pech noch Hämorrhoiden.
Raymond sprühte mit dem Deo in Richtung Achselhöhlen und Schamhaar. Er schüttelte etwas parfümiertes Körperpuder auf eine Hand und klopfte es sachte auf die Haut zwischen den Beinen und rund um die Hoden.
Ein Tritt an die Tür. »Jetzt pack ihn endlich ein, Raymond, und lass die anderen auch mal ran. Du bist schon über ’ne halbe Stunde drin.«
Er hatte sein blaues Hemd eigentlich bügeln wollen, aber jetzt zog er einfach einen Pulli mit rundem Ausschnitt darüber, sodass nur der Kragen sichtbar war und von den Manschetten schmale Streifen. Der eine Ärmel des Pullis war am Ellbogen durchgescheuert, aber unter der Jacke sah das keiner. Er war gespannt, was Sara anhaben würde, hoffentlich was Lockeres, nicht wieder so ein spießiges Kostüm wie
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