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Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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Sir. Na ja …« Er warf einen vorsichtigen Blick auf die Frau, die sich jetzt anschickte, ein Pflaster über den getränkten Wattebausch zu kleben. »… ich hab mal kurz Pause gemacht.«
    »Sie haben was?«
    »Nur für eine Tasse Tee und ein Käsebrot«, warf die Frau ein.
    »Ich war keine fünf Minuten weg, Sir.«
    »Wer’s glaubt.«
    »Seien Sie nicht so streng mit dem jungen Mann.«
    »Ganz gleich, wie lang es war«, sagte Resnick, »es hat der Mutter gereicht, um zu kommen und wieder zu verschwinden.«
    »Sir, das glaube ich nicht, Sir. Ich …«
    »Sie sollen auch nicht glauben, sondern denken. Woher wissen wir, dass sie jetzt nicht da drinnen ist? Vielleicht mit ihm. Na?«
    Der Constable blickte unglücklich auf seinen Helm hinunter. »Wir wissen es nicht, Sir.«
    »Eben.«
    »Aber ich habe keine lauten Stimmen gehört, Sir. Nichts dergleichen.«
    »Was haben Sie denn gehört?«
    »Nur ein bisschen Krach, Sir. Von Sachen, die rumgeschmissen wurden.«
    »Ein oder zwei davon offensichtlich in Ihre Richtung.«
    »Der arme Junge …«, begann die Frau von Neuem, brach aber ab, als sie Resnicks Gesicht sah.
    »Ich habe nur mal zur Tür reingeschaut, Sir. Und gerufen, dass er rauskommen soll.«
    Resnick schüttelte den Kopf, eher bekümmert als ärgerlich. »Aber Sie haben es gemeldet?«
    »Ja, Sir. Sie haben gesagt, es wäre schon jemand unterwegs.«
    Resnick nickte. »Richtig. Ich.« Er wandte sich zum Haus. »Kommen Sie. Genug gehätschelt. Jetzt sehen wir mal nach, was los ist.«
    »Er ist noch drinnen«, sagte der Mann mit der Schiebermütze, der hinten an seinem Zaun lehnte.
    Resnick nickte dankend und ging weiter in den Hof. Im hinteren Zimmer und in der Küche rührte sich nichts, überall im Zimmer aber flogen Seiten herum, die aus Fotoalben herausgerissen worden waren. Die Fotos lagen auf dem Tisch und die Scherben einer Vase, vermutlich jener, die den Constable getroffen hatte, auf den Fliesen in der Küche.
    »Michael Morrison?«
    Nur das Bellen eines Hundes irgendwo straßaufwärts und das Rauschen des Verkehrs waren zu hören, sonst war alles still, verdächtig still.
    »Michael Morrison? Ich bin Inspector Resnick. Wir haben gestern miteinander gesprochen.« Er wartete einen Moment. »Wollen Sie mich nicht hereinlassen?«
    Nichts.
    Zu dem jungen Constable sagte Resnick leise: »Gehen Sie nach vorn und halten Sie die Augen offen.«
    Er griff durch die zerbrochene Milchglasscheibe in der Tür und drückte versuchsweise auf die Klinke. Der obere Riegel war vorgeschoben, aber er konnte ihn gerade noch mit Finger und Daumen erreichen und öffnen. Porzellanscherben knirschten unter den Sohlen seiner Schuhe. Im Zimmer roch es leicht muffig. Steinfliesen, vermutete Resnick, die direkt auf dem Lehmboden verlegt waren; da entstand gern Feuchtigkeit.
    »Michael?«
    Er beugte sich zu den groben grauen Seiten aus einem Andenkenalbum hinunter: Eintrittskarten für ein Kindertheater, ein Aufkleber vom Wildwestabenteuerpark, ein Programmheft von ›Babes in the Wood‹. Auf einem zerrissenen Albumblatt waren kleine quadratische Fotografien von einem Mann und einer Frau mit einem kleinen Kind, einem Säugling: Michael und Diana mit Emily.
    »Michael Morrison.«
    Das nach vorn gelegene Wohnzimmer war klein und dunkel. Von einem dieser Sessel aus hätte man, mit ausgestrecktem Arm und ein wenig in die entsprechende Richtung gebeugt, jede der vier Wände berühren können. Durch die gemusterte Spitzengardine konnte Resnick das ernsthaft bemühte Gesicht des Constable mit dem ziemlich absurd wirkenden Pflaster unter dem Schirm seines Helms erkennen.
    Auf der Treppe war der Teppich an den Stufenkanten beinahe durchgescheuert.
    »Michael, ich bin’s, Inspector Resnick. Ich komme jetzt nach oben.«
    Er war im vorderen Schlafzimmer; zwei Betten Seite an Seite, zwischen ihnen genug Platz für Michael, der mit dem Rücken an der Wand auf dem Boden saß. Das Bett am Fenster schien Dianas zu sein: ein Wecker auf dem Sperrholznachttisch daneben, zwei Becher mit Resten kalt gewordenenTees, ein Taschenbuch über Stress und ein zweites mit hochglänzendem Einband über Selbstbehauptung. Auf dem anderen Bett tummelten sich Kuscheltiere auf dem Kopfkissen. Ein Kissen mit dem Stickbild einer vielfarbigen Katze lag am Fußende. Auf dem geradlehnigen Stuhl daneben stapelten sich schmale Bücher mit bunten Einbänden: ›Teddybären unter sich‹, ›Jakobs erste Nacht woanders‹. Auch auf den beiden Betten waren halb zerfetzte Seiten

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