Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
bekam jedoch mit, dass ein kleines Mädchen vermisst wurde.
»Pass doch auf, verdammt noch mal, du Tollpatsch«, pfiff Hathersage ihn im Vorüberkommen an. »Konzentrier dich gefälligst auf deine Arbeit.«
Vom Boden aus, wo er auf allen vieren zwischen blutigen Rinderlebern herumkroch, murmelte Raymond eine Entschuldigung, die jedoch ungehört blieb.
22
Hebden Bridge bestand, so schien es, aus Teestuben, die wegen Renovierung geschlossen waren, und Antiquitätenläden, in denen melancholische alte Männer mit staubigen Händen und eingefallenen Gesichtern auf Kunden warteten. Vielleicht wurde im Sommer alles etwas fröhlicher, wenn die Wandergruppen aus Manchester und Leeds mit Hunger auf Hefekuchen und nach frischer Luft einfielen. Immerhin fand Patel in der Nähe des Kanals ein Plattengeschäft, das die Sufi-Songs von Nusrat Fateh Ali Khan auf Lager hatte, und zog mit zwei CD s in einer alten Plastiktüte von Pricerite glücklich wieder ab. Chief Inspector Dunstan, längst wieder nach Halifax aufgebrochen, hatte ihm zwei uniformierte Constables mit auf den Weg gegeben und ein ominöses »Viel Glück, Goldjunge. Ich kann Ihnen nur wünschen, dass Sie sich hier was Besseres holen als eine beschissene Erkältung und Blasen an den Füßen.«
Passanten schüttelten beim Anblick des unscharfen Fotos von Diana Wills den Kopf, kaum dass sie angehalten hatten, und gingen weiter. In den Pubs, den Lebensmittelgeschäften und in der Apotheke, in der sympathische Frauenin soliden Schuhen und fleckenlosen rosafarbenen Kitteln bedienten, war es das Gleiche. Erst in einem Café, wo er vor dem unaufhörlichen Nieselregen Zuflucht suchte, den es in Schwaden aus den Bergen herabtrieb, hatte Patel Glück. Am Tresen bestellte er eine Kanne Tee und zwei Scheiben Toast, dann setzte er sich und wartete. Außer ihm war nur eine Frau im Duffelcoat da, die wie ein Automat ihren Kinderwagen vor- und zurückschob, während sie sich durch ein Riesenstück Karottenkuchen mit Nüssen ackerte.
Die Bedienung brachte Patel Tee und Toast wie bestellt. Als sie die Kanne auf den kleinen runden Tisch stellen wollte, hielt sie unvermittelt inne.
»Was ist das?«
Ihr Blick war auf den kleinen Stapel Fotos neben Patels Arm gerichtet.
Während Patel erklärte, lud sie ihr Tablett ab. »O ja«, sagte sie, als sie fertig war, »die ist oft hier.«
»Sicher?«
»An den Wochenenden.«
»An jedem?«
»Nein, das nicht.« Sie zupfte an einem losen Faden ihrer Schürze. »An jedem zweiten vielleicht.«
»War sie dieses Wochenende auch hier?«
»Moment mal, ich … nein. Nein, ich bin sicher, dass ich mich erinnern würde. Bestellt immer eine Kanne Tee, wie Sie, aber sie trinkt ihn ganz dünn und mit extra Wasser. Sie nimmt den Beutel raus, sobald die Kanne auf dem Tisch steht. Ein Haufen Geld für gefärbtes Wasser, mein Ding wäre das nicht, aber hier sieht man echt die komischsten Leute, da hält man am besten den Mund. Guten Morgen, Hallo, vielleicht ein paar Worte übers Wetter. Ja, sie nimmt immer eine Kanne Tee und ein Stück Karottenkuchen.«
»Diana Wills«, sagte Patel.
»Ihren Namen weiß ich nicht. Ich kenn die meisten Gäste nicht mit Namen.«
»Aber Sie sind sicher, dass das hier die Frau ist, die Sie kennen?«
Sie nahm eines der Blätter zur Hand und betrachtete es aufmerksam. »Das Foto könnte zwar kaum schlechter sein, aber sie ist es. Eindeutig.«
»Und Sie haben nicht zufällig eine Ahnung, wo sie an den Wochenenden wohnt, die sie hier verbringt?«, fragte Patel.
»Was hat sie denn angestellt, diese – wie sagten Sie gleich? – Diana Willis?«
»Wills.«
»Wills.«
»Nichts.«
»Na, dafür machen Sie aber ein ziemliches Gedöns, finde ich.«
»Wir – das heißt, die Polizei – suchen sie, weil wir ihr etwas mitzuteilen haben. Es ist wichtig.«
»Ich habe früher immer so gern diese Durchsagen im Radio gehört«, erzählte die Bedienung und setzte sich auf den Stuhl Patel gegenüber. »Nach den Nachrichten. Wir haben eine dringende Nachricht für Herrn Soundso, derzeit mit seinem Wohnwagen in Soundso unterwegs. Er wird gebeten, sich mit dem Soundso-Krankenhaus in Verbindung zu setzen, wo seine Mutter, Frau Soundso, derzeit wegen einer schweren Erkrankung behandelt wird. Die gibt’s fast gar nicht mehr. Woher das wohl kommt?«
Patel holte tief Luft. »Sie haben also keine Ahnung, wo sie wohnt, wenn sie hier ist?«
»Verraten Sie nicht, dass Sie’s von mir haben«, sagte die Bedienung, schon im Aufstehen, »aber
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