Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
kannst manchmal schon ein selbstgerechter alter Scheißkerl sein.
Als er mit Kaffee und Omelettes auf einem Tablett wieder ins Wohnzimmer kam, schlief Lorraine fest. Lächelnd stellte er seinen Teller und seinen Becher auf den Boden und wandte sich leise zur Tür. Er wollte gerade hinaus, als Lorraine sagte: »Wo gehen Sie hin?«
»Ich wollte das zum Warmhalten in den Ofen stellen.«
»Haben Sie mich angesehen? Gerade eben, meine ich.«
»Nur eine Sekunde lang.«
»Das ist komisch. Ich hatte das Gefühl, jemand steht direkt vor mir und starrt mich an. Davon bin ich aufgewacht.«
»Kommen Sie«, sagte Resnick, »wenn Sie schon wach sind, dann essen Sie das hier.«
Lorraine musterte das Omelette argwöhnisch und stocherte dann lustlos mit der Gabel darin herum. Doch nach ein paar Bissen erwachte ihr Appetit.
»Was ist das?«, fragte sie überrascht.
»Nichts Besonderes. Tomate, Zwiebel, eine kleine Weißrübe, die ich gefunden und geraspelt habe. Knoblauch. Ich muss gestehen, ich habe ihre letzte Scheibe Schinkenspeck klein geschnitten. Ach ja, und ich habe die Sahne leer gemacht.«
»Aber was ist da oben drauf?«
»Parmesan. Ich habe ein bisschen was darübergestreut, nachdem ich die Sahne zugegeben hatte. Wenn man es die letzten zwei Minuten unter den Grill stellt, bildet sich diese Kruste.«
Lorraine sah ihn an, als könnte sie ihm nicht ganz glauben. »Wo haben Sie diese Finessen gelernt?«
Resnick zuckte mit den Schultern. »Hier und dort, wo ich gerade zugeschaut habe.«
»Ich habe alles von meiner Mutter gelernt.«
»Wenn ich mir meine Mutter zum Vorbild genommen hätte, würde es zu allem nur Dill und Graupen geben, und so viele Klöße, dass ich doppelt so dick wäre, wie ich jetzt bin. Wenn das überhaupt möglich ist.«
»Sie sind doch nicht dick«, sagte Lorraine höflich.
»Nein.« Resnick lächelte. »Nur korpulent.«
»Dieses Omelette schmeckt jedenfalls einmalig.« Lorraine erwiderte das Lächeln, langte noch einmal zu und sagte mit vollem Mund, worüber ihre Mutter zweifellos entsetzt gewesen wäre: »Vielen Dank.«
Resnick ertappte sich flüchtig bei dem Gedanken, dass sein Leben vielleicht befriedigender wäre, wenn er jemanden zu versorgen hätte, wenn er sich um jemand anders als nur seine Katzen kümmern müsste.
Jacqueline hatte ihre Buchhandlung geschlossen. Sie hatte Patel schnell davon überzeugt, dass sie und Diana Wills zwar enge Freundinnen waren, sie aber trotzdem keine Ahnung hatte, wo Diana sich im Augenblick aufhielt.
»Sie hätte dieses Wochenende eigentlich herkommen sollen. Alles war ausgemacht wie sonst. Aber als ich sie am Zug abholen wollte, kam sie nicht. Ich bin bis abends um elf zu jedem Zug gegangen, ich habe versucht, sie zu erreichen, habe auf einen Anruf von ihr gewartet. Als sie am Samstagmittag immer noch nicht da war, sagte ich mir, dass sie nicht kommen würde.« Ihr Blick war ruhig, und Patel wusste, dass sie die Wahrheit sagte. »Ich habe nichts mehr von Diana gehört, seit sie vor vierzehn Tagen hier war. Ich habe keinen Schimmer, wo sie ist und was sie tut.«
Das war die Wahrheit oder zumindest etwas, was der Wahrheit sehr nahekam.
Das Krankenhaus rief an, um mitzuteilen, dass man Michael innerhalb der nächsten halben Stunde mit einem Krankenwagen nach Hause bringen lassen würde. Lorraine war praktisch nach dem letzten Bissen eingeschlafen. Resnick nahm ihr den Teller ab, bevor er ihr aus der Hand rutschte. Um sechs, Michael war noch nicht zurück, schaltete er den Fernseher ein, ganz leise, um Nachrichten zu hören. Sie brachten ein Bild von Emily, einige Aufnahmen vom Haus und der Umgebung und erwähnten eine Frau, die von der Polizei dringend als Zeugin gesucht wurde. Vom Flur aus rief er die Dienststelle an und gab Bescheid, dass er spätestens in einer Stunde zurück sein werde. Er nahm einen Mantel aus dem Garderobenschrank und breitete ihn über Lorraines Beine. Wenn er und Elaine gleich ein Kind bekommen hätten, wäre es jetzt nicht viel jünger als diese Frau.
Als er leise die Wohnzimmertür schloss, hörte er draußen den Krankenwagen vorfahren.
25
Naylor hatte sich den ganzen Tag in Schulen herumgetrieben und mit gestressten Sekretärinnen Tee getrunken, während er auf ein Gespräch mit noch heftiger gestressten Schulleiterinnen wartete. Dann gab es wieder Tee in der hintersten Ecke von Lehrerzimmern, wo man ihn mit tiefem Misstrauen beäugte und die Schokokekse mit Vanillecreme hinter vorgehaltener Hand aß. Alle waren tief
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