Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
fragen Sie doch mal in der Buchhandlung unten in der Hauptstraße. Da ist ihre Freundin, die, die sie hier besucht.«
»Welche Buchhandlung genau?«, erkundigte sich Patel. Soweit er sich erinnerte, gab es drei, wenn nicht vier.
»Den Berg hinauf bei der Abzweigung nach Heptonstall, hinter dem Naturkostladen.«
Als Patel aufstehen wollte, legte sie ihm die Hand auf die Schulter. »Die sind bestimmt noch eine Weile da. Trinken Sie erst mal in Ruhe Ihren Tee, der wird sonst nur kalt. Und der Toast genauso.«
Entgegen dem Rat seiner Frau und Lynn Kelloggs war Michael Morrison schließlich doch aus dem Haus gegangen, hatte die Reporter weggewinkt und einem Kameramann, der sich vor der Garage aufpflanzte und nicht von der Stelle wich, Prügel angedroht. Innerhalb von zwanzig Minuten war er wieder da: Als er die Brücke beim Jachthafen überquerte, hatte er Männer gesehen, die mit Stöcken ausgerüstet Schritt für Schritt in den Wald vordrangen.
»Von wegen Ermittlungen«, brüllte er Lynn Kellogg an, als er ins Haus stürmte. »Für Sie ist doch längst alles klar, verdammt noch mal.«
»Das stimmt nicht.«
»Ach nein? Was ist dann da draußen los?«
»Wovon reden Sie?«
»Von Suchtrupps rede ich. Nie würden Sie einen solchen Aufwand wegen jemandem machen, von dem Sie glauben, dass er noch lebt.«
»Michael«, sagte Lorraine.
»Emily«, schrie Michael Lynn ins Gesicht. »Sie streuen uns doch Sand in die Augen. Für Sie steht längst fest, dass sie tot ist.«
»Mr Morrison, Michael! Das stimmt nicht.«
»Lügen Sie mich nicht an! Ich bin ihr Vater, also lassen Sie das.« Einen Augenblick glaubte Lynn, er würde sie schlagen, aber er rannte nur völlig außer sich aus dem Zimmer.
Lorraine folgte ihm in die Küche, wo er schon dabei war, eine neue Flasche Wein zu öffnen. »Findest du nicht, es wäre besser …?«, begann sie und brach ab, als er sich wütend nach ihr umdrehte.
»Das ist die ganz normale Vorgehensweise«, erklärte Lynn, als Lorraine wieder ins Wohnzimmer kam. »Bei solchen Fällen.«
Lorraine nickte, ohne es recht zu glauben. »Es ist die ganze Belastung«, sagte sie. »Deshalb trinkt Michael. Bevor er seine Stellung verloren hat und die ganze Pendelei losging, hat er kaum etwas getrunken.«
In der Küche zündete sich Michael die nächste Zigarette an und goss sich noch ein Glas Wein ein. Und während er mit aufgestützten Ellbogen an der Frühstücksbar saß und trank, musste er daran denken, wie er zu Diana ins Krankenhaus gerast war und in ihrem Gesicht die Wahrheit erkannt hatte, noch ehe eine Schwester oder ein Arzt ihn abfangen und diskret zur Seite nehmen konnten, um mit ihm zu sprechen. »Es tut uns entsetzlich leid, Mr Morrison. Wir haben alles Menschenmögliche getan, aber wir konnten James nicht retten.«
Nicht retten.
Einen Augenblick fühlte Michael wieder die Erde in seiner Hand, feucht und klebrig, und hörte sie auf dem kleinen Sarg aufklatschen.
»Es wird alles wieder gut, Diana. Diana. Diana, es wird alles wieder gut. Du brauchst nur Zeit, glaub mir. Wir brauchen beide Zeit. Wir können wieder ein Kind bekommen, wenn wir so weit sind. Wenn du so weit bist. Glaub mir.«
Aber nichts wurde wieder gut. Nein, danach wurde im Grunde nichts wieder gut. Dann war Emily zur Welt gekommen, und jedes Mal, wenn sie schrie, weil sie gefüttert werden wollte, erinnerte sie Diana daran, dass James tot war; ein lebender Vorwurf, von früh bis spät.
Michael verschüttete Wein über seine Hände, als er das Glas auf die Arbeitsplatte knallte, und stieß sich in seiner Hast, aus der Küche hinauszukommen, das Schienbein an. Er saß schon im Wagen und fuhr rückwärts aus der Einfahrt, als – vor klickenden Kameras – Lorraine herausgerannt kam. Lynn blieb an der Haustür stehen und beobachtete alles. Beide Frauen wussten, wohin er wollte.
»Es geht um Morrison, Sir«, sagte Lynn am Telefon zu Resnick. »Er ist losgeschossen wie eine Rakete. Und er hat einiges an Alkohol intus. Ich bin ziemlich sicher, dass er zu seiner Exfrau will.«
Als sie auflegte, stand Lorraine neben ihr und sah sie an, als wollte sie von Neuem zu weinen anfangen. Lynn nahm sie bei den Händen und ließ nicht los, als Lorraine sie abschütteln wollte. »Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht«, sagte sie, »aber ich habe einen Bärenhunger. In Ihrem Kühlschrank gibt es doch sicher etwas, das sich gut mit Toast kombinieren lässt.«
Sie hielt Lorraine fest, bis diese sagte: »Baked Beans, die habe ich
Weitere Kostenlose Bücher