Der Kinderfänger: Kriminalroman (German Edition)
eigentlich immer in Massen da. Marmite. Käse. Sardinen.«
23
»Jacqueline Verdon, Buchhändlerin«, war über der Tür zu lesen. Vor dem Laden unter einer Markise standen Kisten mit Büchern, eselsohrigen, feuchten Taschenbüchern, das Stück für zehn Pence. Im Fenster lagen teurere Bände über Astrologie, Astronomie, Mutterschaft und gesundes Essen, über das Leben großer Komponisten und vergessener Malerinnen. Wenn Patel überhaupt je eine Malerin gekannt hatte, so erinnerte er sich jedenfalls an keinen Namen mehr. Eine Glocke bimmelte über der Tür, als er in den Laden trat.
Drinnen roch es nach Räucherstäbchen. Hinten im Laden klimperte Musik, glockenspielartig und monoton. Auf einem Tisch in der Mitte des Raums waren Landkarten rund um eine Gruppe Vasen mit Trockenblumen ausgelegt. Im vollgestopften Wandregal zu Patels Linker leuchteten fast ausschließlich die grünen Buchrücken des Virago Verlags.
»Kann ich Ihnen helfen?« Die Frau nahm die Brille ab, bevor sie Patel mit einem Lächeln ansprach. Sie war in den Vierzigern, schätzte er, hatte ordentlich frisiertes braunes Haar und gehörte vermutlich zu jenem Typ wahrhaft englischer Engländerinnen, deren gute Manieren zwangsläufig eine liberale Haltung zur Frage der interethnischen Beziehungen sowie der Todesstrafe von ihnen verlangen. Als Patel zu seiner derzeitigen Dienststelle versetzt worden war, hatte er anfangs bei einer solchen Frau zur Miete gewohnt, Kleieflocken zum Frühstück und die Kloschüssel immer blitzblank; an dem Tag, an dem sie Patel mit einem südafrikanischen Apfel in seinem Zimmer erwischte, reagierte sie, als hätte er es mit ihrem Zwergschnauzer getrieben.
»Oben haben wir noch mehr. Schauen Sie sich ruhig um. Aber wenn Sie es eilig haben, wäre es wahrscheinlich am einfachsten, Sie sagen mir, wonach Sie suchen.«
Ohne die Brille sah sie aus, als starrte sie einen an: Ihr freimütiger Blick gewann viel an Intensität. Sie lächelte wieder und bewegte dabei leicht den Kopf, sodass die großen Kreolen an ihren Ohren lichtblitzend ihr Gesicht streiften.
»Sind Sie Jacqueline Verdon?«, fragte Patel.
»Ja.« Sie klang jetzt etwas unsicher, fragend.
»Ich hoffte, Sie könnten mir vielleicht etwas über Diana Wills sagen.«
Ihre Hand zuckte heftig, der Füller rutschte über den Schreibtisch, an dem sie gearbeitet hatte, und hinterließauf ihren Papieren eine Kette immer kleiner werdender Spritzer.
Patel ging um den Büchertisch herum und zog seinen Dienstausweis heraus.
»Was ist passiert?«, fragte Jacqueline Verdon. »Ist Diana etwas zugestoßen?« Der Blick ihrer hellbraunen Augen und ihre anschwellende Stimme verrieten deutlich ihr Erschrecken.
Auf der Bobbers Mill Bridge geriet Resnick hinter einen Betonmischwagen und hing dann wutschäumend in einer einspurigen Schlange fest, die von der Ringstraße bis zum Basford College reichte. Im Autoradio hörte er die Alten und die Gebrechlichen munter bei Radio Nottingham anrufen und von anno dazumal schwärmen, als es noch echte Christbäume und echte Stechpalmen gab und man für eine Half Crown ein halbes Dutzend Mince Pies bekam. Lieber Himmel, bis Weihnachten war es noch ewig hin, und sie begannen jetzt schon zu meckern. Ich weiß noch, krächzte einer, als es in jedem größeren Laden in der Stadt einen Nikolaus gab; der letzte Nikolaus, mit dem Resnick zu tun gehabt hatte, war wegen Belästigung minderjähriger Jungen festgenommen worden.
Er schaltete um auf Gem- AM , doch sechzehn Takte Neil Sedaka reichten ihm, um den Kasten ohne Bedauern auszumachen. Vor ihm tat sich eine Lücke auf, und er stach mit Vollgas hinein, was ihm einen Stinkefinger von einer nichtssagenden Blondine eintrug. Als er in Kimberley ankam, hockte der neunzehnjährige Constable mit einer Platzwunde an der Stirn und seinem Helm zwischen den Knien auf dem Bordstein, und die Frau, die Patel den Tee mit Schuss serviert hatte, verarztete ihn mit Watte und Desinfektionsmittel.
»Was zum Teufel ist denn hier passiert?«
»Ach, der arme Junge …«
Der Constable errötete.
»Er ist alt genug, um selbst zu antworten«, sagte Resnick. »Kurz und klar.«
»Entschuldigen Sie.«
»Er muss von hinten eingebrochen sein, Sir …«
»Wer?«
»Morrison, Sir. Ich glaub jedenfalls, dass er’s war.«
»Und wie ist er hineingekommen?«
»Er hat das Fenster in der Tür eingeschlagen, Sir. Der Schlüssel muss von innen gesteckt haben.«
»Sie haben ihn nicht gesehen? Oder gehört?«
»Erst hinterher,
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