Der Kinderpapst
die zu den heiligen Stätten führten, Pilger
wurden ausgeplündert und wegen eines Stücks Brot ermordet. Ãberall verfielen
die Kirchen, weil das Geld fehlte, sie instand zu halten, während Priester mit
käuflichen Weibern schamlos in Bacchanalien schwelgten. Mord und Totschlag geschahen
bei helllichtem Tage, ohne dass die Soldaten eingriffen, und selbst in St.
Peter drangen des Nachts betrunkene Raubritter ein, um die Gaben fortzuraffen,
die fromme Gläubige bei Tage auf den Tisch des Herrn gelegt hatten.
Reuig schlug Giovanni Graziano sich an die Brust. Ja, wer sich in
die Welt hinaus begibt, verstrickt sich in Sünde und Schuld â¦
» AMEN !«, sagte eine laute Stimme.
Giovanni Graziano drehte sich um. »Seht Ihr nicht, dass ich bete?«
»Ihr habt für heute genug gebetet«, erwiderte Petrus da Silva.
Giovanni Graziano schlug das Kreuzzeichen und erhob sich von den
schmerzenden Knien. »Was habt Ihr auf dem Herzen?«
»Wichtige Neuigkeiten«, erklärte der Kanzler. »Severo hat angeboten,
das Heer der Sabiner mit den päpstlichen Truppen zu vereinen, um gemeinsam
gegen die Tuskulaner zu ziehen.«
»Was für ein unseliges Ansinnen«, entgegnete Giovanni Graziano. »Ich
habe das Kreuz dieses Amtes nicht auf mich geladen, um Kriege zu führen,
sondern um des Gottesfriedens willen.«
»Ich weià um Euer Bestreben, Heiliger Vater«, sagte Petrus da Silva.
»Und ich will Euch darin unterstützen, soweit es in meinen Kräften steht. Aber
darf man Frieden mit dem Teufel machen? Oder ist es nicht unsere Pflicht, den
Teufel zu bekämpfen, wo immer wir auf ihn treffen?«
Giovanni Graziano schüttelte sein Haupt. »âºSchwerter sollt ihr zu
Pflugscharen machenâ¹, spricht der Herr.«
»Der Herr sagt aber auch: âºWer nicht für mich ist, ist wider mich.
Und wer weder kalt ist noch warm, sondern lau, den speie ich aus.â¹Â«
Ein Bote betrat die Kapelle, mit einem Brief in der Hand.
»Gib her!«
Petrus da Silva nahm das Schreiben und erbrach das Siegel. Kaum
hatte er zu lesen begonnen, hellte sich seine Miene auf.
»König Heinrich ist auf dem Weg nach Rom«, sagte er. »Er will sich
zum Kaiser krönen lassen. Allerdings möchte er zuvor eine Synode der
italienschen Bischöfe einberufen, in Sutri.« Der Kanzler rollte das Pergament
zusammen. »Etwas Besseres kann uns gar nicht passieren. Wir werden Heinrich
entgegenziehen, und zwar bis Piacenza.«
Giovanni Graziano erschrak. »Bis Piacenza?«, fragte er. »Wozu eine
so weite Reise? Sutri liegt in der Provinz Viterbo.«
»Gewiss, Heiligkeit«, erwiderte Petrus da Silva. »Aber sobald
Heinrich italienischen Boden betritt, soll er wissen, wer der wirkliche und
rechtmäÃige Papst ist.«
Giovanni Graziano schaute seinen Kanzler voller Zweifel an. »Können
wir damit einen Krieg verhindern?«
4
Unsicher blickte Gregorio auf seinen betrunkenen Bruder. Seit
Tagen hatte er Teofilo nicht mehr nüchtern gesehen. Zuerst hatte er geglaubt,
dass die alten Zeiten wieder angebrochen waren, die guten alten Zeiten, als sie
sich in der Laterna Rossa betrunken hatten, zusammen mit den Huren. Doch
irgendwie hatte er das Gefühl, dass sein Bruder sich verändert hatte. Teofilo
trank nicht mehr, um sich zu berauschen, sondern aus Trauer, aus Verzweiflung â
aus einem dieser seltsamen Gefühle, die Gregorio niemals an eine Frau
verschwenden würde. Wie konnte ein Mann sich für ein Weib zugrunde richten?
Wäre er, Gregorio, an Teofilos Stelle, er würde diese Chiara ficken, bis sie
wund wäre, und sich dann ein anderes Mädchen nehmen. Was machte den
Unterschied? Jede Frau hatte ein Loch zwischen den Beinen.
Zum ersten Mal im Leben fühlte Gregorio sich seinem Bruder
überlegen. Trotzdem konnte er seinen Triumph nicht genieÃen. Denn es wurde
höchste Zeit, dass Teofilo nüchtern wurde. Eine unverhoffte Möglichkeit hatte
sich aufgetan, eine Möglichkeit, vielleicht doch noch zu retten, was nicht mehr
zu retten schien.
»Jetzt begreif doch endlich!«, sagte er. »Das ist eine Fügung des
Himmels! Wenn wir nach Sutri reisen, kannst du dem König beweisen, dass du der Papst bist und niemand sonst! Und ihn vor aller Welt
zum Kaiser krönen!«
»Wie kommst du darauf, dass ich der Papst bin?«, erwiderte Teofilo.
»Natürlich bist du der Papst! Du musst nur nach Sutri
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