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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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dem Portal der Hauptkirche, wo an den Gerichtstagen
sich das Schafott erhob, war ein Podium aufgeschlagen, auf dem ein Herold eine
Botschaft verlas.
    Â»Es gibt nur einen rechtmäßigen Papst – Papst Benedikt IX .! Verschwörer haben versucht, den Heiligen Vater vom
Thron zu vertreiben, aber es ist ihnen nicht gelungen. Papst Benedikt ist
Gottes alleiniger Stellvertreter, Herrscher über Rom und die Christenheit. Er
hat seinen erzwungenen Rücktritt für ungültig erklärt, um fortan wieder seines
Amtes zu walten. Jeder, der diesem Beschluss zuwiderhandelt und einen falschen
Papst verehrt, wird aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen und
exkommuniziert, auf dass er ewig in der Hölle brenne. Heil dem Papst! Es lebe
Papst Benedikt!«
    Verwundert schauten die Leute sich an, als der Herold das Pergament
einrollte.
    Was hatte das zu bedeuten?
    Da sprang ein nackter, kahl rasierter Narr mit einem Bocksprung auf
die Bühne und schwang sein feuerrotes Narrenzepter.
    Â»Nein!«, rief er. » Ich bin der Papst!
Papst Hokuspokus I. Und ich exkommuniziere alle
Päpste, die es außer mir gibt!«
    Die Verwirrung des Publikums löste sich in Gelächter auf. Überall
wurden Rufe laut, Bauern und Krämer, Handwerker und Tagelöhner ernannten sich
zu Päpsten, um gleich darauf von irgendwelchen Gegenpäpsten exkommuniziert zu
werden. Sogar eine Frau meldete sich zu Wort, ein dickes Eierweib, das unanständig
ihre Hüften kreisen ließ.
    Â»Ich bin die Päpstin Tarantella, die Heilige Mutter der Christenheit.
Und kein Mann soll je wieder den Papstthron besteigen!«
    Jetzt musste sogar Chiara lachen, und Anna wollte schon den Wagen
verlassen, um sich unter das Volk zu mischen, als plötzlich eine Horde Reiter
auf den Platz sprengte: Soldaten mit den Abzeichen der Tuskulaner. An ihrer
Spitze ritt Gregorio, gefolgt von Teofilos beiden anderen Brüdern, Ottaviano
und Pietro. Sie hatten ihre Schwerter gezückt, und während sie ihre Pferde
rücksichtslos in die Menge trieben, brüllten sie: »Wer ist Euer Papst? Wie
heißt Seine Heiligkeit?«
    Chiara hielt den Atem an, und auch Anna, die mit einem Fuß schon
draußen war, schloss eilig wieder den Schlag, während die Tuskulaner über das
Volk herfielen. Mit blanken Schwertern prügelten und stachen sie auf die
kreischenden Menschen ein, bis jeder die Antwort gab, die sie hören wollten.
Sogar der Narr fiel ein in den Ruf, aus Angst um sein Leben.
    Â»Heil dem Papst! Es lebe Papst Benedikt!«
    3
    Â»Herr, du hast dieses Kreuz auf meine Schultern gelegt, ich
flehe dich an, gib mir die Kraft, es nun zu tragen.«
    Gregor VI ., der Mann, der in
glücklicheren Tagen Giovanni Graziano geheißen hatte, kniete vor dem
Marienaltar seiner päpstlichen Privatkapelle, um Kraft zu schöpfen durch das
Gebet. Er war erst wenige Monate im Amt, und doch sehnte er sich mit jeder
Faser seines Herzens nach seinem früheren Leben zurück, nach den reinigenden
Bädern im Wald, nach den Stunden der Versenkung, die keine Zeit zu kennen
schienen, nach den Freuden der Entbehrung, durch die er sein Innerstes
geläutert hatte.
    Wie sollte er die Erwartungen erfüllen, die seine Thronbesteigung
hervorgerufen hatte?
    Es war, als laste das Gewicht der ganzen Welt auf seinen alten,
schwachen Schultern. Das Volk bejubelte ihn wie einstmals den Erlöser beim
Einzug in Jerusalem. Er sollte den Hunger und das Elend von ihnen nehmen,
Unzucht und Betrug verfolgen, das Rauben und Morden in der Stadt beenden, Recht
und Ordnung wiederherstellen, raffgierige Priester und Bischöfe ihres Amtes
entheben und die katholische Kirche, die nach Benedikts Pontifikat so heillos
daniederlag, an Haupt und Gliedern erneuern. Als würde mit ihm, dem neuen
Papst, das Goldene Zeitalter der Apostel wiederkehren.
    Doch wie sah die Wirklichkeit aus?
    Ach, wäre er doch mit vollkommener Blindheit geschlagen, um das
Elend nicht sehen zu müssen. Die Tuskulaner hatten alle Verträge in
schändlicher Weise gebrochen, um Benedikts Thronverzicht zu widerrufen, und in
der Sabina hauste mit Silvester ein Bischof, der immer noch behauptete, Gottes
Stellvertreter zu sein. Dabei war nicht mal die weltliche Herrschaft des
Papstes gesichert. Kaum gebot Gregor über die nächsten Kastelle im Stadtgebiet.
Hundert Signoren standen bereit, über seine Truppen herzufallen. Räuber
belagerten alle Straßen und Wege,

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