Der Kinderpapst
so gleichgültig, wie er nur konnte. »Im Viale Giaccomo oder im
Viale Giacobo?«
»Im Viale Giaccomo«, lallte Teofilo.
»Also in der Pfarrei Santa Maria della Rotonda?«
»Ja, aber wozu wollt ihr das wissen?«
»Kümmere dich nicht um uns.« Gregorio reichte ihm den Weinkrug.
»Hier, trink lieber noch einen Schluck!«
5
Die Düsternis jahrhundertealter Steinmassen umfing Chiara.
Obwohl der Lateranpalast die ganze Autorität der Kirchenmacht ausströmte,
versuchte sie, sich nicht einschüchtern zu lassen, als sie den Gang
entlangschritt, an dessen Ende sich die Kanzlei befand. Wie würde Petrus da
Silva reagieren, wenn sie ihm ihre Forderung stellte? Ein Laienbruder in einer
schmierigen Kutte, der auf seinem Schemel eingenickt war, sprang auf und
öffnete die Tür zu einem Saal, in dem Kopisten über Schreibpulte gebeugt
Verträge abschrieben. AuÃer gelegentlichem Hüsteln oder Räuspern war nur das
Kratzen der Gänsekiele zu hören.
»Seine Eminenz ist verreist«, erklärte der Kanzleivorsteher, ein
magerer Monsignore mit nur noch wenigen braunen Zahnstumpen im Mund.
»Aber ich muss mit dem Kanzler sprechen«, erwiderte Chiara. »Hier«,
sagte sie und zeigte die Schriftrolle vor, mit der Teofilo seine Ansprüche auf
den englischen Peterspfennig an sie abgetreten hatte, »erkennt Ihr dieses
Siegel?«
»Das Siegel des ehemaligen Papstes«, sagte er. »Aber wie dringlich
Eure Sache auch sein mag, Seine Eminenz, Kardinal da Silva, hat Rom vor einer
Woche verlassen, zusammen mit dem Heiligen Vater, um dem deutschen König
entgegenzureisen.«
»An wen kann ich mich dann wenden?«, fragte Chiara.
»An niemanden. Wenn Ihr mit einem solchen Schriftstück vorsprecht,
mit dem Siegel eines Papstes â nein«, der Kanzleivorsteher schüttelte den Kopf.
»Versucht es noch einmal, wenn Seine Eminenz wieder in Rom ist.«
»Und wann wird das sein?«
Der Mann hob die Arme. »In ein paar Tagen? In ein paar Wochen? Das
weià Gott allein.«
Unverrichteter Dinge verlieà Chiara den düsteren Palast. So sehr sie
sich vor der Begegnung mit dem Kanzler gefürchtet hatte, so enttäuscht war sie
nun. Hatte Petrus da Silva sich verleugnen lassen? Der Kanzler war glatt wie
ein Fisch, er würde alles tun, um Schaden von der Kirche abzuwenden und die
Verpflichtungen, die der neue Papst eingegangen war, wieder aufzuheben. Doch
aus irgendeinem Grund hatte Chiara das Gefühl, dass der Kanzleivorsteher die
Wahrheit gesagt hatte.
Was sollte sie jetzt tun? Sich in Geduld fassen, bis Petrus da Silva
wieder in Rom war? Oder sollte sie versuchen, sich auf ihre Urkunde bei einem
Juden Geld zu borgen, um ihre Pläne in Angriff zu nehmen? Fast schämte sie sich
für ihre Ungeduld. Denn tief in ihrem Innern wusste sie, dass weniger die
Bedürftigkeit ihrer Schutzbefohlenen der Grund war, weshalb ihr die neuen
Werkstätten und Herbergen so sehr auf den Nägeln brannten. Der Grund war
vielmehr sie selbst. Sie brauchte die Arbeit, um nicht verrückt zu werden.
Als sie ins Freie trat, spürte sie wieder das Kind in ihrem Bauch.
Nein, es gab keinen Zweifel, sie war schwanger, und obwohl sie nicht so rund
und dick wie andere Frauen in ihrem Zustand war, konnte es nur noch wenige
Wochen bis zur Entbindung dauern. Sie hatte nachgerechnet, sie musste das Kind
in der letzten Nacht empfangen haben, die sie mit ihrem Mann zusammen gewesen
war, in der Nacht vor der Schlacht, in der Domenico gefallen war. Wie sehr
hatte sie sich ein Kind von ihm gewünscht, als er noch lebte. Doch jetzt? Sie
hatte versucht, Domenico zu lieben, aber sie hatte es nicht geschafft. Weil ihr
Herz einem anderen Mann gehörte, seit sie imstande war zu lieben, einem Mann,
der ihre Liebe durch nichts erworben hatte und so viel weniger verdiente als
Domenico, doch dessen Verlust sie so viel mehr schmerzte als der Verlust ihres
Mannes.
Als sie die Tiberbrücke überquerte, kam ihr Anna entgegengelaufen.
»Gott sei Dank, da bist du ja!«
»Was ist los?«, fragte Chiara. »Du bist ja ganz aufgelöst.«
»Sie ⦠sie haben Antonio verhaftet.«
»Antonio? Wer?«
»Die Tuskulaner.« Anna war ganz auÃer Atem und schnappte nach Luft.
»Teofilos Brüder, Ottaviano und Pietro. Sie sind gekommen, kaum dass du fort
warst, und haben ihn davongeschleppt wie einen Verbrecher.«
»Um Himmels
Weitere Kostenlose Bücher