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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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nachdem er sich
von den Knien erhoben hatte, öffnete er die aus grobem Holz zusammengezimmerte
Kleidertruhe und holte daraus das Bündel mit dem päpstlichen Ornat hervor, das
er in den Tagen seiner Buße hier zurückgelassen hatte. Dann trat er vor das Madonnenbild,
in dem vor vielen, vielen Jahren seinem Taufpaten Giovanni Graziano sein
Gesicht erschienen war, küsste das Antlitz der Jungfrau, wie er es als Kind
schon getan hatte, wann immer er die Einsiedelei betrat oder verließ, und ging
hinaus ins Freie.
    Wie sehr hatte er sich in seiner Kindheit auf jeden neuen Tag
gefreut, den Gott ihm schenkte … Und wie schlecht hatte er die Tage genutzt,
die ihm zugeteilt worden waren …
    Draußen empfing ihn ein strahlend schöner Sommermorgen. Das Licht
der Sonne brach sich in den Wipfeln der Bäume, leise raschelte das Laub im
Wind, während im Unterholz und in den Büschen und Hecken überall das Leben sich
summend vermehrte. In eine schlichte Mönchskutte gekleidet, trat Teofilo an das
Grab, das er unweit der Klause ausgehoben hatte. Es war Zeit, sich von den
Insignien seines einstigen Amtes zu trennen, wie von allen Dingen, die ihn mit
dem irdischen Leben verbanden.
    Chiara …
    Sie hatte ihm ins Gesicht gespuckt. Sie würde ihn hassen und
verachten, solange er lebte. Nicht mal seine Aussage gegen Gregorio hatte sie
umstimmen können. Weil sie ihn für einen Mörder hielt und den Entführer ihres
Sohns.
    Wie sollte er mit dieser Last das Leben ertragen?
    Â»Der Verfluchte soll wie ein Esel begraben werden, fortgeschleift
und hinausgeworfen vor die Tore Jerusalems.«
    Leise flüsterte er die Worte des Propheten Jeremiah, und während er
zuerst die Mitra, dann den Kreuzstab in das Grab legte, vermischte sich der
Geruch von Lehm, der aus dem Erdloch stieg, mit dem Duft des Harzes, den die
Pinien und Kiefern verströmten – der Geruch des Todes und der Duft des Lebens.
Ja, seine Zeit war abgelaufen, seine Stunde gekommen. Um wiedergeboren zu
werden, ob im Himmel oder in der Hölle, musste er sterben.
    Aus dem Tal wehte das Geläut zur Morgenmesse herbei. Der vertraute
Klang erfüllte Teofilo mit einer seltsamen, unwirklichen Ruhe, und als wäre er
gar nicht mehr er selber, sondern ein Fremder, der sich seines Leibes bemächtigt
hatte, so wie seine Nachfolger, die Päpste Gregor und Silvester, Clemens und
Damasus und Leo, sich seines Amtes bemächtigt hatten, öffnete er die Schnüre
seines Bündels, um die Kleider ein letztes Mal zu falten, all die Gewänder und
Umhänge, die Tücher und Gürtel und Bänder, deren Namen und Reihenfolge ihn so
sehr verwirrt hatten, damals, als man ihn im »Saal der Tränen« zum ersten Mal
damit eingekleidet hatte, im Alter von zwölf Jahren, um ihn dem Gottesvolk als
neuen Papst und Hüter des Glaubens zu zeigen, doch der sich in Wahrheit als
Fluch der Christenheit erwiesen hatte, für die Stadt und für den Erdkreis.
    Warum hatte Gott ein Ungeheuer wie ihn erschaffen?
    Schweigend blickte er in das Grab, in dem seine Gebeine modern würden,
in ungeweihter Erde, bis sie von den Würmern zerfressen und eins waren mit dem
Lehm, aus dem Gott den ersten Menschen erschaffen hatte. Er hatte das Geschenk
des Lebens so wenig verdient wie das Amt, das er bekleidet hatte. In dem Bewusstsein,
endlich das Richtige zu tun, nahm er nach und nach die gefalteten Kleider von
dem Stapel, die Gewänder und Umhänge und Tücher, die Bänder und Gürtel, und
legte sie in das Erdloch, das seine letzte Ruhestätte war. Hier, in diesem
Eselsgrab, wollte er bestattet werden, wenn sie seine Leiche fanden.
    Â»Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa …«
    Ja, Giovanni Graziano hatte Recht. Wer sich in die Welt hinaus
begibt, verstrickt sich in Sünde und Schuld …
    28
    Warum war es auf einmal so dunkel?
    Als Chiara in Grottaferrata ihren Reisekarren bestiegen hatte, um
nach Hause zu fahren, hatte es gerade zum Angelus geläutet. Doch jetzt, da
nicht mal die halbe Wegstrecke hinter ihr lag, war es schon so finster wie in
tiefer Nacht. Kaum konnte sie die Hand vor Augen sehen, nur hin und wieder
lugte der Mond zwischen den schwarzen Wolkengebirgen hervor und tauchte die
Wälder in ein fahles, unwirkliches Licht.
    Â»Hüh!«, rief der Wagenlenker und ließ die Peitsche knallen. »Hüh,
ihr lahmen Gäule! Hüh!«
    Die Pferde fielen in Galopp, und in

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