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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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vertrockneten, in Myrtenblätter gewickelten Apfel gefunden, und
auf ihre Frage nach seiner Herkunft hatte Anna ihr erklärt, dass dies ein
Liebesapfel sei, ein Zauber, mit dem vergeblich liebende Männer manchmal
versuchten, das Herz ihrer Angebeteten zu gewinnen.
    Â»Wart Ihr schon lange in der Kapelle?«, fragte Chiara.
    Â»Keine Sorge, ich habe Euer Gespräch nicht belauscht«, erwiderte
Domenico. »Was denkt Ihr von mir? Eure Zofe hatte mir gesagt, dass Ihr nach
Grottaferrata fahren wolltet.«
    Â»Und da habt Ihr Euch gleich auf den Weg gemacht?«
    Â»Was ist daran verwunderlich?« Er nahm ihr Kinn in die Hand, sodass
sie ihn anschauen musste. »Habt Ihr eigentlich eine Ahnung, wie sehr ich Euch
liebe?«, fragte er mit einer Stimme, aus der unendliche Trauer sprach. »Ich habe
mich so sehr nach Euch gesehnt, dass ich es einfach nicht aushielt. Weil ich
nur glücklich sein kann, wenn ich bei Euch bin.«
    Chiara biss sich auf die Lippe. Sie sah, wie sehr er litt, und
wünschte sich, sie könnte ihm helfen. Doch sagte er auch die Wahrheit? Wie um
seine Worte zu bekräftigen, nahm er ihre Hand und drückte sie mit solcher
Innigkeit, dass sie sich für ihre eigenen Gedanken schämte. Nein, sie hatte
kein Recht, an seinen Worten zu zweifeln – in den Jahren ihrer Ehe hatte
Domenico sie kein einziges Mal belogen.
    Trotzdem war sie erleichtert, als sich vor ihr die Türme der
Crescentierburg aus den Wäldern erhoben. Bald war es dunkel, und sie würden
Trictrac spielen.
    Sie passierten gerade einen Weiler, in dem ein paar Tagelöhner und
unfreie Bauern hausten, als Domenico auf einmal ihre Hand losließ, um sich zu
bekreuzigen.
    Â»Ich glaube, da ist jemand gestorben«, sagte er und wies mit dem
Kinn auf eine ärmliche Kate am Waldrand, in der soeben ein Priester mit zwei
Messdienern verschwand.
    Chiara kannte das Haus – darin wohnten Annas Leute!
    Â»Anhalten!«, rief sie.
    Noch bevor die Pferde stillstanden, sprang sie aus dem Karren und
eilte in das Haus. In dem düsteren Raum, wo es nach kaltem Rauch roch und in
dem man kaum etwas erkennen konnte, war ein Dutzend Menschen versammelt, die
leise Gebete flüsterten. Irgendwo klingelte ein Glöckchen.
    Plötzlich schrak Chiara zusammen.
    Auf einem Strohlager sah sie in der Dunkelheit den leblosen Körper
einer Frau: Francesca, die Nichte ihrer Zofe, mit der sie als Kind die Geister
im See beschworen hatte. Das Gesicht ihrer einstigen Freundin war unendlich alt
und so bleich wie das Hemd, das schweißnass an ihrem aufgewölbten Leib klebte.
Ihr zur Seite am Boden kniete Anna. Als ihre Zofe sie sah, schüttelte sie stumm
den Kopf.
    Don Abbondio, der Dorfpfarrer, hob den Weihwassersprengel. »Der Herr
sei deiner Seele gnädig!«, sagte er und segnete Francesca. Dann trat er
beiseite, um einer Hebamme Platz zu machen. Mit einem Messer in der Hand beugte
sie sich über das Lager.
    Â»Was um Himmels willen hat sie vor?«
    Â»Sie schneidet ihr das Kind aus dem Leib«, sagte Anna leise. »Damit
Don Abbondio es taufen kann. Sonst kommt es in die Hölle.«
    Â»Aber was ist, wenn Francesca noch lebt? Wollt ihr sie umbringen?
Seht doch – sie atmet!«
    Ganz deutlich konnte Chiara erkennen, wie der aufgewölbte Bauch sich
hob und senkte.
    Â»Hört sofort damit auf!«
    Sie stürzte sich auf die Hebamme, um ihr das Messer aus der Hand zu
reißen. Doch Francescas Brüder hielten sie zurück.
    Â»Anna!«, rief Chiara. »Was hockst du da und schaust?«
    Ihre Zofe rührte sich nicht. »Francesca muss sowieso sterben«, sagte
sie. »Die Seele des Kindes ist wichtiger. Gott hat so entschieden.«
    Â»Bist du wahnsinnig?«
    Während Anna ihr den Rücken zukehrte, packten die zwei Männer sie
und zerrten sie zur Tür.
    Â»Bitte, geht jetzt«, sagte der Ältere. »Das ist nichts für Euch.«
    Â»Lasst mich los! Ihr sollt mich loslassen!«
    Chiara schlug um sich und trat mit den Beinen, doch Francescas
Brüder waren viel zu stark. Während die zwei sie hinausschleiften, stimmte Don
Abbondio das Vaterunser an, und alle fielen in das Gebet ein.
    Als Chiara ins Freie stolperte, gellte in ihrem Rücken ein Schrei,
den sie niemals vergessen würde.
    12
    Gnadenlos pochte der Schmerz in Petrus da Silvas Schädel: ein
eiternder Zahn, dessen Wüten ihn in der Nacht aus tiefem Schlaf gerissen hatte,
um ihn nun von Stunde zu

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