Der Kinderpapst
Stunde mehr zu zermürben. Am liebsten hätte er sich
mit Branntwein betäubt und in einem verdunkelten Zimmer darauf gewartet, dass
der Schmerz ihn aus seiner pochenden Umklammerung lieÃ. Doch das verbot ihm die
Pflicht. Er hatte die erstgeborenen Söhne zweier mächtiger Familien in den
Vatikan gerufen, den Crescentier Domenico sowie den Tuskulaner Gregorio, um
zusammen mit ihnen MaÃnahmen zu erörtern, die zur Wiederherstellung der Ordnung
und des Gleichgewichts der Kräfte im Kirchenstaat erforderlich waren. Was bedeutete
im Vergleich dazu ein eiternder Zahn?
»Die Lage in der Stadt gibt Anlass zu groÃer Sorge«, erklärte er.
»Greise und Kinder verhungern, Bürger werden ausgeraubt, Frauen vergewaltigt,
am helllichten Tag und auf offener StraÃe. Sogar in die Kirchen wird
eingebrochen, um heiliges Gerät zu stehlen.«
»Im Volk geht das Gerücht, der Papst sei ein Zauberer«, sagte
Domenico. »Es heiÃt, Benedikt experimentiere mit Messwein, um auf künstliche
Weise das Blut Christi herzustellen. Manche behaupten sogar, dass er damit
Gottes Zorn auf die Stadt herabzieht. Zum Beweis führen sie das Viehsterben an.
Es habe im selben Monat begonnen, in dem Teofilo di Tusculo den Thron bestieg.«
»Wer sagt so etwas?«, wollte Petrus wissen.
»Ugolino, der Sabiner«, erwiderte Domenico. »Er hat in der Laterna
Rossa, einem Hurenhaus in Santa Maria della Rotanda, Gerüchte aufgeschnappt,
die er in der ganzen Stadt herumerzählt. Angeblich prahlt eine Hure damit, dass
Conte Alberico sie in den Vatikan geschleust habe, um den Papst zu beglücken.
Jetzt schwört sie bei allen Heiligen, dass Benedikt im Keller seines Palasts Teufelszeug
treibt. Das will sie mit eigenen Augen gesehen haben.«
»Mein Bruder war schon immer verrückt«, lachte Gregorio. »Da
spendiert man ihm eine Hure â und was tut er? Anstatt sie zu ficken, zelebriert
er mit ihr die heilige Wandlung.« Er kniff das linke Auge zu, genauso wie sein
Vater, wenn er nachdachte. »Wenn man mich fragt«, sagte er dann, »ich wüsste
ein viel interessanteres Experiment. Wie verwandelt man eine Jungfrau in eine
ehrwürdige Mutter?« Er war von seinem eigenen Witz so begeistert, dass er laut
losprustete.
»Ich weià nicht, was es da zu lachen gibt«, erwiderte Petrus.
»Solche Dinge können einen Volksaufstand hervorrufen.«
»Allerdings«, pflichtete Domenico ihm bei. »Die Sabiner warten nur
auf einen Anlass, um loszuschlagen. Und was dann die anderen Familien tun, ist
mehr als ungewiss.«
Petrus hielt sich einen Zinnbecher an die pochende Wange. Doch die
Berührung vermehrte nur seinen Schmerz. Er schloss kurz die Augen und holte
tief Luft.
»Ihr solltet versuchen, auf Euren Bruder einzuwirken«, wandte er
sich dann an Gregorio. »Seine Heiligkeit ist fast noch ein Kind, er braucht
Eure Hilfe.«
»Das hättet Ihr Euch früher überlegen sollen!«, protestierte Gregorio.
»Es war ein Fehler, Teofilo an meiner Stelle auf den Thron zu setzen. Aber Ihr
wart ja alle wie verhext. Nur weil dieser Trottel von Einsiedler â¦Â« Statt den
Satz zu Ende zu sprechen, knabberte er an seinem Daumennagel. »Einen Teufel
werde ich tun, ihm jetzt aus der Patsche zu helfen. Teofilo ist der Papst,
nicht ich! Ich bin es leid, immer wieder meinen Kopf für Dinge hinzuhalten, die
dieser kleine Wichtigtuer verbockt.«
»Ihr sprecht von Seiner Heiligkeit, dem Papst!«
»Ich spreche von meinem gottverdammten Bruder! â Verflucht noch mal,
wollt Ihr uns eigentlich verdursten lassen?« Gregorio hob seinen leeren Becher
in die Höhe.
Petrus gab den Dienern ein Zeichen. Während einer von ihnen
herbeieilte, um Wein einzuschenken, ergriff Domenico wieder das Wort.
»Sorgt wenigstens dafür, dass die Falschmünzerei aufhört. Je weniger
das Geld wert ist, desto teurer werden Fleisch und Milch.«
»Falschmünzerei?«, fragte Gregorio. »Ich weià gar nicht, wovon Ihr
sprecht!«
Die plötzliche Angst in seinem Gesicht sprach seinen Worten Hohn.
Der Schreck war ihm so in die Glieder gefahren, dass er ganz bleich wurde.
Obwohl er mit beiden Händen den Becher beim Trinken umfasste, konnte er ein
Zittern nicht verbergen.
»Ich bin derselben Meinung«, erklärte Petrus da Silva. »Immer wieder
haben Päpste in der Vergangenheit die Münzhoheit missbraucht, um sich
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