Der Kinderpapst
legte einen Finger auf die welken Lippen.
»Eure Mutter hat mir Einlass verschafft, hinter dem Rücken derer, die Euch von
mir fernzuhalten trachten.«
Er umarmte ihn, um ihn mit dem Bruderkuss zu begrüÃen.
»Du weiÃt, warum ich gekommen bin?«, fragte er dann in strengem Ton.
Teofilo nickte.
»Du musst endlich Besitz von deinem Amt ergreifen! Dich zu Gottes
Werkzeug machen, um dem Bösen Einhalt zu gebieten!«
Beschämt senkte Teofilo den Blick. Er wusste, er hatte seinen Paten
enttäuscht. Nichts, rein gar nichts hatte er bewirkt, seit er den Thron
bestiegen hatte.
»Ich habe keine Macht, um mich gegen die Kardinäle und Prälaten und
Bischöfe zu wehren«, sagte er. »Sie machen, was sie wollen. Vor allem Petrus da
Silva, der Kanzler. Niemand wagt, ihm zu widersprechen. Und dann sind da noch
mein Vater und seine Verbündeten ⦠Und unsere Feinde ⦠Ich kann sie kaum
auseinanderhalten. Jeder will etwas anderes von mir. Dabei bin ich doch nur â¦Â«
Giovanni Graziano schüttelte sein schlohweiÃes Haupt. »Nein, mein
Sohn«, sagte er, »du irrst, wenn du glaubst, du hättest keine Macht. Das
Gegenteil ist wahr! Du wirst getragen von der Allmacht Gottes. Weil du sein
Stellvertreter bist.«
Teofilo hörte die Worte, doch sie klangen in seinen Ohren so hohl
und leer wie eine Handvoll tauber Nüsse.
»Manchmal glaube ich«, sagte er leise, »Gott hat ganz vergessen,
dass es mich überhaupt gibt. Immer wieder bete ich zu ihm und flehe ihn an, mir
ein Zeichen zu schicken. Aber er gibt mir keine Antwort und lässt mich allein.«
Er zögerte, bevor er weitersprach. »Warum darf ich nicht leben wie andere
Männer in meinem Alter? Mit einer Frau und Kindern? Warum durfte ich nicht â¦Â«
Er brachte es nicht über sich, den Namen auszusprechen. Immer noch
hing der Duft der anderen im Raum.
»Chiara di Sasso heiraten?«, ergänzte Graziano den Satz an seiner
Stelle.
Teofilo schwieg.
Sein Taufpate nickte. »Du denkst immer noch an sie, nicht wahr?«
»Ja«, flüsterte Teofilo. »Bei Tag und bei Nacht. Wenn ich einschlafe,
sehe ich ihr Gesicht vor mir, und wenn ich aufwache auch. Aber sobald ich die
Augen öffne, ist sie fort, und ich â¦Â«
Seine Stimme erstickte.
»Ich weiÃ, wie sehr du leidest«, sagte Giovanni Graziano. »Ich
selber habe Ãhnliches in meiner Jugend erfahren, bevor Gott mir den Weg
gewiesen hat. Auch in meinem Leben gab es damals eine Frau, und ich dachte, ich
könnte nicht ohne sie leben. Aber glaub mir, mein Sohn, du hast keinen Grund,
kleinmütig zu sein. Wen Gott prüft, den liebt er.«
»Ich brauche ein Zeichen, ehrwürdiger Vater! Damit ich wenigstens
weiÃ, dass mein Verzicht nicht umsonst ist!«
»Nichts, was Gott uns auferlegt, ist umsonst.« Giovanni Graziano
legte seine knochige Hand auf Teofilos Schulter. »Gott lässt keines seiner
Kinder in der Wüste verdursten. Er wird dir ein Zeichen senden. So wie er mir
ein Zeichen gesandt hat.«
Unsicher hob Teofilo den Blick. »Wann, ehrwürdiger Vater? Wann?«
»Vielleicht schon bald, mein Sohn«, erwiderte sein Pate. »Es heiÃt,
dass du am Aposteltag eine Fürbittmesse lesen wirst, zur Rettung des hungernden
Volkes. Zwar werde ich nicht zugegen sein. Aber in meiner Klause werde ich zu
den Aposteln Petrus und Paulus darum beten, dass sie sich an ihrem Segenstag
für dich bei unserem Herrn verwenden.«
14
Mit dünnem Klang schlug die Glocke der Dorfkirche an.
»Wollt Ihr das Kind noch im Tod von seiner Mutter trennen?«, fragte
Chiara.
»Das Kind ist nicht getauft«, erwiderte Don Abbondio. »Es darf nicht
in geweihter Erde ruhen.«
»Habt Ihr denn gar kein Herz?«
»Ich gehorche den Gesetzen Gottes. Und die verbieten mir, ein
ungetauftes Kind in seinem Acker zu begraben.«
Die kleine Trauergemeinde war schon in der Kirche versammelt, als
Chiara noch auf dem Vorplatz mit dem Pfarrer um die Beisetzung des Kindes
stritt. Es wäre ein Junge gewesen. Bei dem Versuch der Hebamme, Francescas
Bauch mit einem Messer zu öffnen, war nicht nur die Mutter verblutet, sondern
auch ihre Leibesfrucht. Anna hatte unter Tränen von dem Gemetzel berichtet, das
im Haus ihrer Leute stattgefunden hatte, um die Seele des ungeborenen Kindes zu
retten. Weil es aber tot zur Welt gekommen war, hatte Don Abbondio es nicht
mehr taufen und von
Weitere Kostenlose Bücher