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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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zurückschreckt, um diese Tat zu verbergen? Sano hatte nur eine Möglichkeit, dies herauszufinden: Er mußte sich in Geduld üben und auf ein kleines Wunder hoffen.
    Doch ungeachtet seiner geringen Erfolgsaussichten verspürte er einen seltsamen Auftrieb. Denn jetzt besaß er endlich die Freiheit, zu unkonventionellen Mitteln der Detektivarbeit zu greifen, und jetzt stand ihm unbegrenzt viel Zeit zur Verfügung. Außerdem war er nur noch sich selbst Rechenschaft schuldig, und er konnte den Weg zu Wahrheit und Gerechtigkeit auf eine Weise beschreiten, wie es ihm gefiel. Nun war er ein echter rōnin, ein herrenloser Samurai, und konnte sich auf eigene Faust durchs Leben schlagen – oder sterben. Wenngleich er sich nach einem Herrn sehnte, der ihm Schutz und Sicherheit bot, erfüllte seine neue Freiheit ihn mit einem Gefühl der Hochstimmung. Die Zukunft lag wieder offen vor ihm, geheimnisvoll, unbestimmt und voller ungeahnter Möglichkeiten – sofern das Schicksal es noch einmal gut mit ihm meinte.
    Doch die Notwendigkeit, sich zu tarnen, fesselte Sano vorerst an die Unentrinnbarkeit des Hier und Jetzt. Der Umhang aus Stroh schützte ihn zwar vor dem kalten Nieselregen, scheuerte ihm aber den Hals und die Handgelenke wund und kratzte auf der Haut. Die Nässe stieg durch seine Strohsandalen und die Strümpfe; bei jedem Schritt gluckste und schlürfte der kalte Schlamm unter den Sohlen. Und wie demütigend für einen Samurai, sich wie ein gemeiner Bauer zu kleiden!
    Zu Fuß kam Sano sich nackt und verletzlich vor; außerdem war seine einzige Waffe das kurze Schwert, das er sich – unter dem Umhang verborgen – unter die Schärpe geschoben hatte. Sein Pferd und das Langschwert, die Zeichen seines Standes, hatte er zurücklassen müssen. Nun vermißte er beides und hoffte, weder das Pferd noch die Waffe zu benötigen.
    Doch dieser Verzicht fiel Sano leichter, als er feststellte, daß seine Verkleidung ihn praktisch unsichtbar machte. Die Leute – Reiter und Fußgänger – eilten an ihm vorüber, ohne von den Pferderücken oder unter den Schirmen hervor einen Blick auf ihn zu werfen.
    Siebenunddreißig Schritte brachten Sano bis vor das Tor des yashiki der Nius. Er ließ sich Zeit, als er mit seinem Stecken Pferdeäpfel aufspießte und sie in seinen Korb warf. Niemand betrat das Anwesen oder verließ es. Schließlich ging Sano weiter, um nicht durch allzu langes Verweilen an einem Fleck die Aufmerksamkeit der Torwächter zu erregen. Einige Pferdeäpfel ließ er liegen, um einen Grund zu haben, später noch einmal hierher zu kommen.
    Immer wenn er ein Stück Abfall aufhob, warf Sano einen beiläufigen Blick über die Schulter. Als er ans Ende der Straße gelangte, machte er kehrt und begann wieder seinen Weg in Gegenrichtung. Diesmal traten drei Samurai, die das Libellen-Wappen der Nius auf den Gewändern trugen, durch das Tor ins yashiki. Sano war zwei weitere Male die Straße hinauf und hinunter geschlendert, als die drei Männer wieder zum Vorschein kamen. Doch der junge Fürst Niu ließ sich immer noch nicht blicken.
    Sano kam sich zunehmend verdächtig vor. Die Straße war jetzt von allen Abfällen gereinigt; es gab keinen Grund mehr, daß Sano sie noch einmal hinunterschritt. So lange wie möglich wartete er vor dem Tor des Niu- yashiki; dann machte er sich wieder auf den Weg in die andere Richtung und gab erneut vor, nach Müll Ausschau zu halten.
    »He, du!«
    Zuerst reagierte Sano gar nicht; denn niemand würde es wagen, einen Samurai auf diese Weise anzureden. Dann erst fiel ihm seine Verkleidung ein, und er wandte sich der Stimme zu.
    »Die Straße ist jetzt sauber genug, verflucht noch mal«, rief ihm einer der Torwächter zu. »Ich kann dich nicht mehr sehen, Mann. Verschwinde, du Dreckskerl!«
    Dreckskerl! Jedes einzelne der dreißig Jahre Samurai-Erziehung, die Sano genossen hatte, rebellierte gegen diese Beleidigung. Wütend starrte er den Torwächter an, eine heftige Erwiderung auf der Zunge. Er ließ seinen Stecken fallen und griff reflexhaft nach dem Langschwert – das er gar nicht trug.
    »Was zappelst du so herum? Worauf wartest du?« höhnte der Posten, kam aus seinem Wachthaus und ging auf Sano zu, wobei er irgendeinen kleinen Gegenstand in der Hand hielt.
    Es war ein brennendes Zündholz.
    Lachend rief der Posten seinen Kameraden zu: »Soll ich ihn mal tanzen lassen?« Und dann, an Sano gewandt: »Wenn du deinen dreckigen Strohumhang und dein dreckiges Leben behalten willst, dann solltest du

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