Der Kirschbluetenmord
jetzt machen, daß du fortkommst.«
»Ja, Herr!«
Bebend vor Wut, verbeugte sich Sano, seinem niederen Status entsprechend. Er hob seinen Stecken auf und machte einen hastigen, schmählichen Rückzug um eine Straßenecke. Dort blieb er zitternd stehen und versuchte, seinen Zorn und den Schrecken unter Kontrolle zu bekommen. Denn der Torwächter, der keine härtere Strafe als einen Tadel befürchten mußte, hätte seine Drohung vielleicht wahrgemacht, Sanos Strohumhang angezündet und ihn bei lebendigem Leibe verbrannt – so, wie Fürst Matsukura aus der Provinz Shimabara einst jene seiner Bauern getötet hatte, die ihm nicht den verlangten Tribut an Reis hatten liefern können! Nach einer Weile hörte Sanos Zittern auf, und sein Atem ging wieder gleichmäßig. Forschend betrachtete er seine Umgebung und dachte über andere Möglichkeiten nach, weiterhin heimlich nach Fürst Niu Ausschau zu halten.
Die Seitengasse – sie war etwa halb so breit wie die Hauptstraße, die Sano soeben verlassen hatte – verlief zwischen den Mauern des Niu -yashiki und einem der benachbarten Anwesen. Jeweils zwei Wächter standen an schmuckloseren Seitentoren auf Posten, durch die ein nicht abreißender Strom von Lastenträgern und Dienern floß. Hier brauchte Sano sich weniger Sorgen darum zu machen, daß jemand ihn fortscheuchen könnte. Die Torwächter waren beschäftigt; der Fußgängerverkehr war dicht, und es gab reichlich Müll. Andererseits waren die Aussichten, hier Fürst Niu zu erblicken, sehr gering. Der Sohn eines Daimyō würde das Haupttor benutzen.
Niedergeschlagen schritt Sano die Seitenstraße auf und ab und fragte sich, was er jetzt, da sein ursprünglicher Plan fehlgeschlagen war, tun sollte. Er konnte nach Augenzeugen suchen, die beobachtet hatten, wie ein Mann vor einigen Tagen ein schweres Bündel in den Fluß geworfen hatte. Er konnte erneut nach Yoshiwara reisen und die verbliebenen Freunde Noriyoshis befragen – in der Hoffnung, daß einer von ihnen in der Mordnacht den Künstler zusammen mit dem jungen Fürsten Niu gesehen hatte. Dann aber schüttelte Sano den Kopf. Er würde nicht weit kommen, bis jemand seine Verkleidung durchschaute und ihn an Ogyū verriet.
Dann, als Sano zum drittenmal an einem der beiden Seitentore des Niu -yashiki vorüberkam, schwang das Tor auf. Heraus kamen vier Samurai, die eine schwarze Sänfte trugen. Weder auf der Sänfte noch auf den Umhängen der Träger waren Wappen abgebildet; dennoch war zu erkennen, daß eine wichtige Persönlichkeit in der Sänfte sitzen mußte. Welcher Familienangehörige der Nius oder welcher hochgestellte Besucher hatte beschlossen, das Anwesen durch das Seitentor zu verlassen? Sano starrte angestrengt auf die Sänfte, doch seine Neugierde wurde nicht gestillt, denn die Vorhänge waren zugezogen.
Plötzlich wurden sie zur Seite gezogen. Der Insasse der Sänfte sagte irgend etwas zu den Trägern; dann zog er die Vorhänge rasch wieder zu. Sein Gesicht, das zum Teil von einem Hut aus Korbgeflecht verdeckt wurde, war nur für einen Augenblick zu sehen gewesen. Doch Sano hatte den Insassen sofort erkannt.
Es war der junge Fürst Niu.
Obwohl es Sano vor ein Rätsel stellte, daß Fürst Niu das Haus auf derart verstohlene Weise verlassen hatte, bereitete es ihm keine Schwierigkeiten, der Sänfte zu folgen. Die dicht bevölkerten Straßen Nihonbashis boten Sano viele Deckungsmöglichkeiten und ließen die Sänftenträger nur langsam vorankommen.
Fürst Niu betrat den Laden eines Schwertschmieds, redete kurz mit den anderen Kunden und verließ dann das Geschäft, ohne etwas gekauft zu haben. Anschließend begab er sich zu einer heruntergekommenen Waffenkampf-Akademie, die von rōnin besucht wurde. Dort übte Fürst Niu sich im Schwertkampf. Sano schlenderte vor der offenen Eingangstür der Akademie auf und ab und beobachtete den Fürsten. Statt mit einem Übungsschwert aus Holz kämpfte er mit einer stählernen Klinge. Sein verkrüppeltes Bein behinderte ihn nicht; meisterhaft vollführte er jeden Schlag und jede Parade, und seine Reflexe waren blitzschnell. Kampf um Kampf endete damit, daß Fürst Niu seinem Gegner die stählerne Klinge an die Kehle drückte. Sein Geschick mit der Waffe raubte Sano vor Bewunderung schier den Atem. Hoffentlich mußte er dem Fürsten nie im Zweikampf gegenübertreten!
Anschließend besuchten Fürst Niu und drei seiner Mitschüler ein Gasthaus in der Nähe der Akademie. Sano folgte dem Beispiel der Sänftenträger
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