Der Kirschbluetenmord
konnte er die Hand nicht vor Augen sehen. Zweige knackten unter seinen Sohlen, peitschten ihm ins Gesicht und raschelten an seiner Kleidung; Pfützen platschten unter seinen Schritten.
»Ich glaube, ich hab’ da drüben etwas gehört!«
Die Wachtposten rannten los, brachen lautstark durchs Gehölz. Ein Pfeil sirrte dicht an Sanos Kopf vorbei und fuhr weit voraus in den Boden. Ein weiterer schlug mit dumpfem Pochen in einen Baumstamm, als Sano gerade erst daran vorübergehuscht war. Gehetzt schaute er sich nach einer Deckung um; dann stürzte er vornüber zu Boden und blieb atemlos liegen. Regungslos verharrte er, als die Schritte der Wachtposten für einen Augenblick verstummten, um dann wieder näher zu kommen – leise, langsam, unaufhaltsam. Sano kämpfte die aufsteigende Panik nieder und bewegte sich weiter voran. Halb kroch er, halb schlitterte er über Gras und Schlamm. Er unterdrückte einen Aufschrei, als er einen kurzen, aber steilen Abhang hinunterrollte. Seine Hände und Knie schrammten über den steinigen Boden. In der Nähe sah er das schwache Schimmern eines kleinen Baches, in dem sich das Sternenlicht spiegelte, das zwischen den Lücken der sich verflüchtigenden Regenwolken vom klaren Himmel fiel. Schließlich fand sich eine Zuflucht in Gestalt eines abgestorbenen Baumstumpfes, der am Grunde des Abhangs stand und dessen knorrige Äste eine Art Höhle am Ufer des Bachlaufs bildeten. Sano kroch in die Höhle hinein und zog sich so weit vom Eingang zurück wie möglich.
Über ihm, am Rand der Böschung, verstummten rasche Schritte; den Geräuschen nach zu urteilen, waren es drei Wachtposten. Ihre Lampen warfen schimmerndes gelbes Licht über den Lauf des Baches. Sano hielt den Atem an, der in der kalten Luft kondensierte; denn er befürchtete, die Verfolger könnten die weißen Wölkchen sehen, die aus dem Flechtwerk der Äste des abgestorbenen Baumes emporstiegen. Dann sagte jemand: »Ich glaube, von hier ist er gekommen.«
»Nein«, erwiderte die Stimme jenes Mannes, der den Hausmeister als »dummen Ochsen« bezeichnet hatte. »Dann müßte er über die Mauer gesprungen sein.«
Die erste Stimme sagte: »Kommt, wir suchen weiter, bis wir Gewißheit haben. Denkt an den Befehl des jungen Herrn – kein Unbefugter darf das Gelände betreten.«
Die Stimmen wurden leiser, als die Männer sich entfernten. Sano kroch aus seinem Versteck hervor, stieg die Böschung hinauf und spähte über deren Rand. Er sah das Licht der Lampen zwischen den Bäumen auf und nieder hüpfen; eines näherte sich der vorderen Mauer, die anderen beiden drangen tiefer in den Wald ein. Sano entspannte sich. Für den Augenblick war er in Sicherheit, wenngleich er sich einem neuen Problem gegenübersah: daß die Wächter umherstreiften, versperrte ihm den normalen Fluchtweg. Er mußte eine andere Route suchen, doch er wußte nicht, wie weit es bis zur gegenüberliegenden Mauerseite war, falls er einen Weg durch den Wald fand. Außerdem wußte er nicht, wo andere Wächter postiert waren.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Drei, vier Posten suchten ihn; somit war das Haus weniger schwer bewacht. Und man würde damit rechnen, daß er vom Haus weg flüchtete, nicht in Richtung des Hauses. Er konnte unter den Gebäuden hindurchkriechen und versuchen, auf diese Weise bis zur Mauer auf der gegenüber liegenden Seite zu gelangen.
Sano machte sich auf den Weg, näherte sich langsam dem Haus. Vor jedem Schritt tastete er mit Händen und Füßen den Boden ab, um jedes Geräusch zu vermeiden. Schließlich gelangte er an den Rand der Lichtung, blieb dort liegen und beobachtete das Haus.
Der Wächter an der Vordertür blieb auf seinem Posten und blickte seinen Kumpanen nach. Ein weiterer Wächter patrouillierte an der Seite der Villa. Sano beobachtete, wie der Mann zwei Inspektionsgänge machte, um sich das Vorgehensmuster des Postens einzuprägen: Der Mann ging bis vor das Haus. Blickte in die Runde. Drehte sich um. Ging an der Seite des Hauses und dann den überdachten Gang entlang bis zum Gartenhaus, wobei er in den Wald spähte. Am Gartenhaus machte er kehrt und wiederholte das Ganze. Sano wartete, bis der Posten seinen Umkehrpunkt am Gartenhaus fast erreicht hatte. Dann rannte er in geduckter Haltung über die freie Fläche und warf sich zwischen den Stützpfeilern hindurch unter das Haus.
Er kroch unter dem Seitengebäude und dem überdachten Gang hinweg, bis er sich unter dem Haupthaus befand. Dort angelangt, hörte er über sich
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