Der Kirschbluetenmord
gedämpfte Stimmen und das Knarren der Holzdielen. Fürst Niu und seine Gäste. Sano kroch zur hinteren Seite des Haupthauses und steckte vorsichtig den Kopf ins Freie. Im Garten und auf der hinteren Veranda war niemand zu sehen. Vermutlich hielten hier normalerweise jene Männer Wache, die zur Zeit im Wald nach ihm suchten. Sano kroch unter dem Haus hervor. Die Stimmen wurden lauter, weil sie jetzt nur noch von der dünnen Papierbespannung der Fenster hinter den Holzgittern gedämpft wurden. Die Männer schienen aufgeregt zu sein; sie redeten durcheinander, so daß ihre Worte unverständlich waren. Sano lauschte angespannt, denn jeden Augenblick konnten wieder Pfeile heransirren. Er wußte, daß er verschwinden sollte, bevor die Wächter aus dem Wald zurückkamen. Immerhin besaß er jetzt die Sandale, das Seil und O-hisas Zeugenaussage. Was konnte er mehr erwarten?
Doch statt loszurennen, zog Sano seinen Dolch. Er war zu weit vorgedrungen und hatte zuviel riskiert, als daß er jetzt fliehen wollte, ohne soviel wie nur möglich in Erfahrung zu bringen. Von den Geräuschen im Haus ermutigt, schnitt er behutsam ein winziges Loch ins Papierfenster und spähte hindurch.
Öllampen und Kohlebecken erfüllten das leere Zimmer mit gespenstischem, flackerndem Licht und rauchigem Dunst. In der Mitte des Zimmers saßen etwa zwanzig junge Männer in einem Halbkreis und führten lebhafte Streitgespräche, ohne sich ihrer Umgebung bewußt zu sein. Einige von ihnen erkannte Sano als jene Freunde des Fürsten, die er zusammen mit Niu im Laden des Schwertschmiedes und in der Akademie für Kampfkünste gesehen hatte. Demnach waren Fürst Nius Aktivitäten gar nicht so ziellos gewesen, wie es den Anschein gehabt hatte. Der Fürst hatte die »zufälligen« Begegnungen eingefädelt, um seine Leute zu dem heutigen Treffen in der Sommervilla zusammenzurufen. Jetzt saßen sie Niu Masahito gegenüber, der auf einem Podest kniete; in seinem Rücken befand sich ein bemalter Wandschirm.
Plötzlich senkte sich Stille über die Gruppe, die nur von gelegentlichem Räuspern unterbrochen wurde. Es schien, als hätten die Männer Angst vor irgendeiner Antwort Masahitos, der ihr Anführer zu sein schien.
Obwohl die Reste einer Mahlzeit auf Servierbrettern zu sehen waren, die vor den Versammelten lagen, erinnerte Sano die Szenerie eher an einen hastigen Imbiß als an ein Festmahl. Die ernsten Mienen der Männer und die beinahe greifbare Spannung im Zimmer ließen Sano erkennen, daß es sich um kein gewöhnliches gesellschaftliches Treffen handelte. Außerdem waren die Versammelten bewaffnet, was – der Etikette entsprechend – in einem privaten Haus normalerweise nicht der Fall gewesen wäre. Erstaunt hob Sano die Brauen, als er die Wappen auf den Kimonos der Versammelten erkannte: Es waren Angehörige der Familien Maeda, Date und Hosokawa darunter. Fürst Niu hatte Vertreter jedes bedeutenden Daimyō-Klans um sich versammelt – von den Tokugawas abgesehen.
Der Abgesandte der Maedas meldete sich zu Wort. »Ich halte den Plan für zu riskant«, sagte er. »Er wird nicht aufgehen. Ich schlage vor, wir sprechen noch einmal die Ausweichmöglichkeiten durch.«
Sofort erhoben sich die Stimmen der anderen, und eine wilde Diskussion begann.
»Er hat recht!« – »Nein! Der Plan wird funktionieren!« – »Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Wir müssen handeln!« – »Nein! Mir gefällt der Plan auch nicht.«
»Das reicht!« Fürst Niu, der die Diskussionen seiner Besucher mit einem schmalen Lächeln verfolgt hatte, brachte sie mit einem herrischen Befehl zum Schweigen.
Die anderen wandten sich ihm zu. Auf den Gesichtern der jungen Männer spiegelte sich Furcht, Respekt und Bewunderung – bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Sano hatte inzwischen erkannt, weshalb Fürst Niu solche Empfindungen erweckte: Der Sohn des Daimyō besaß Charisma; er strahlte eine solche Leidenschaft aus, daß seine Augen leuchteten und sein kleinwüchsiger Körper größer erschien. Sogar seine Haut, die immer noch gerötet war – vermutlich aufgrund seines sexuellen Erlebnisses mit dem Jungen –, ließ auf ein inneres Feuer schließen, das andere Männer in seinen Bann zog.
Aber weshalb hatte er diese Versammlung einberufen? Welchen Plan verfolgte er? Sano fragte sich, ob dieses Treffen irgend etwas mit den Morden zu tun hatte oder ob er sein Leben sinnlos aufs Spiel setzte, indem er Gesprächen lauschte, die ihn nicht weiterbrachten.
»Es gibt keine
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