Der Kirschbluetenmord
unerbittlich wurde sein Rücken von der gewaltigen Kraft des Gegners nach hinten gebeugt. Unwillkürlich stieß Sano einen Schrei aus, als ihm ein greller Schmerz über den Rücken jagte. Der Mann wollte ihm das Rückgrat brechen! Schweiß lief Sano übers Gesicht, und er preßte die Zähne zusammen, als er sich zu wehren versuchte. Doch vergeblich. Der Druck ließ nicht nach. Der Mann bog ihm das Rückgrat immer weiter durch. Sano glaubte, jeden Augenblick das Bersten der Knochen zu hören …
»Das reicht!« erklang der herrische Befehl der Frau.
Zu Sanos unendlicher Erleichterung ließ der Angreifer von ihm ab. Das drückende Gewicht des Mannes verschwand. Zitternd vor Schwäche, aber unverletzt, drehte Sano sich auf den Rücken und blickte seine Bezwinger an.
Fürstin Niu stand vor ihm. Ihr Haar fiel lose über die Schultern, und ihr wutverzerrtes, weiß geschminktes Gesicht sah im flackernden Licht der Lampen gespenstisch aus. Die schimmernden Falten ihres dunklen, ungegürteten Kimonos verstärkten ihr geisterhaftes Aussehen. Mit beiden Händen hielt sie den Schaft eines Speeres gepackt, dessen stählerne Spitze genau auf Sanos Brust zeigte.
Dann lächelte sie. Ihre Lippen verzogen sich und entblößten ihre schimmernden schwarzen Zähne. Sie zog den Speer zurück.
»Bringe ihn ins Haus, Eii -chan« , sagte sie zu ihrem riesigen, grobschlächtigen Diener, der neben ihr stand. »Wir werden ihn nicht töten … noch nicht.«
27.
B
eim Anblick des grausamen Triumphs, der in Fürstin Nius Augen schimmerte, verflog Sanos Erleichterung darüber, statt dem Sohn der Mutter in die Hände gefallen zu sein. In seinem Innern starb jede Hoffnung. Dann wandte Fürstin Niu sich um und ging davon. Sano hörte das leise Rascheln, als der Saum ihres dunklen Kimonos über den Boden und die Stufen der Treppe schleifte, welche hinauf zur Veranda führte; dann, nachdem die Fürstin die Villa betreten hatte, verklang das Geräusch.
Eii -chan beugte sich über Sano und streckte die Arme nach ihm aus. Sano versuchte, an sein Schwert zu gelangen. Er stemmte die Hacken in den Boden und stieß sich mit aller Kraft nach hinten ab. Es war ein verzweifelter Versuch, dem Gegner zu entkommen. Zwar bekam Sano das Schwert zu packen; doch es verhedderte sich in den Falten seines Umhangs. Außerdem nahmen die Schmerzen in den Wunden zu, und Sanos Bewegungen wurden immer unbeholfener. Mit aller Kraft trat er nach Eii -chan. Seine Füße prallten gegen Beine, die so hart und fest wie Holz waren. Eii -chan packte den Gegner und zerrte ihn so heftig in die Höhe, daß Sano das Gefühl hatte, der Arm würde ihm ausgerissen. Ein brutaler Stoß ließ ihn in Richtung Veranda taumeln. Sein Fuß traf die unterste Treppenstufe; er wurde herumgeschleudert und stieß einen gellenden Schmerzensschrei aus, als er gegen die Veranda prallte. Dann packte Eii -chan ihn am Kragen und hob ihn beinahe von den Füßen. Starke Finger schlossen sich um Sanos Handgelenke, nachdem Eii -chan ihm die Arme auf den Rücken gedreht hatte; den anderen Arm schlang er Sano um die Brust. Sano versuchte beharrlich, sich aus der Umklammerung zu befreien, erstarrte jedoch abrupt, als ihm die kalte Schneide einer stählernen Klinge an den Hals gedrückt wurde.
Als Eii -chan den hilflosen Gegner die Treppe hinauf und durch die Tür schleifte, schmeckte Sano den eigenen Tod. Wilde, animalische Angst stieg in ihm auf. Er kämpfte sie nieder, indem er sich dazu zwang, sich auf Einzelheiten seiner Umgebung zu konzentrieren. Er lauschte den Windglöckchen, die auf den Dachvorsprüngen klingelten. Der Flur war jetzt nicht mehr dunkel, sondern von den Lampen beleuchtet, deren Licht aus den durchsichtigen Fenstern in den Wänden jenes Zimmers drang, in dem Fürstin Niu wartete. Die moderige Ausdünstung Eii -chans – fremd und seltsam vertraut zugleich – reizte Sano zum Niesen. Eine schwache Erinnerung an diesen Geruch stieg in ihm auf, doch wenngleich sie dicht unter der Oberfläche blieb, konnte er sie nicht greifen. Dann vergaß er diesen Gedanken vollkommen, als Eii -chan ihn ins Zimmer Fürstin Nius stieß und ihn auf die Knie drückte.
Mit einem raschen Blick nahm Sano das Innere des Zimmers in sich auf: Es war geräumig; eine Wand des Raumes war mit Wandgemälden bedeckt, eine andere von eingebauten Regalen; mehrere Kisten aus Lack standen auf dem Fußboden, und im Alkoven stand eine Vase mit Blumen. Dann richtete Sano seine Aufmerksamkeit auf die Bewohnerin dieses
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