Der Kirschbluetenmord
könnte.«
Sano wußte, daß er jetzt sterben würde, falls es ihm nicht gelang, die Fürstin zum Weiterreden zu bewegen – und sei es nur, um das Unausweichliche aufzuschieben. »Ihr habt Yukiko zur Sommervilla in Ueno geschickt«, sagte er. »Ihr habt Noriyoshi dorthin gelockt, indem Ihr ihm so viel Geld versprochen habt, daß er damit ein eigenes Geschäft hätte eröffnen können. Während Ihr in Fürst Kurodas Villa die Musikaufführung genossen habt, hat Eii -chan die beiden getötet und ihre Leichen in den Fluß geworfen.«
Wieder lachte Fürstin Niu. »Es ist alles ganz leicht zu verstehen, wenn man erst die Tatsachen kennt, nicht wahr?« An Eii -chan gewandt, sagte sie: »Töte diesen flüchtigen Verbrecher, der unbefugt unser Anwesen betreten hat, und übergib seine Leiche dem dōshin. «
Als Eii -chan ihn in die Höhe zerrte, sagte Sano: »Es ist sinnlos, einen weiteren Mord für Euren Sohn zu begehen, Fürstin Niu. Ihr könnt ihn nicht vor sich selbst beschützen, und angesichts seines Verrats gibt es für Euch nichts zu gewinnen. Für diesen Verrat wird er sterben, und das wißt Ihr.«
Weder der Gesichtsausdruck noch die Haltung der Fürstin änderten sich, doch ihr Körper straffte sich merklich. »Verrat?« wiederholte sie. »Ich möchte Euch davor warnen, Sano -san, solche Beleidigungen und unhaltbaren Anschuldigungen vorzubringen. Oder wollt Ihr, daß Eii -chan Euren Tod sehr lange hinauszögert und Euch schreckliche Schmerzen bereitet?«
Nach außen hin blieb die Fürstin ruhig, doch ein kaum merkliches Zittern in ihrer Stimme ließ Sano erkennen, daß er einen wunden Punkt getroffen hatte. Sie belog ihn nicht – weshalb hätte sie sich die Mühe machen sollen, da er sowieso sterben sollte? Es gab nur eine Erklärung: Sie wußte nichts von der Verschwörung ihres Sohnes! Sie hatte vier Morde nur deshalb geplant und ausführen lassen, um die geringfügigeren Vergehen ihres Sohnes zu verbergen. Doch Sanos Erstaunen über diese Entdeckung trat weit in den Hintergrund, als er den veränderten Ausdruck in den Augen der Fürstin sah: Ihr Blick war gehetzt und verängstigt. Sie wollte zwar nicht glauben, daß ihr Sohn sich des Verrats schuldig gemacht hatte – aber sie wußte, daß Niu Masahito dazu fähig war.
Sano stolperte, als Eii -chan ihn zur Tür zerrte. Rasch fuhr er fort: »Euer Sohn und eine Gruppe anderer Daimyō-Söhne wollen den Shōgun ermorden und die Tokugawa-Regierung stürzen.«
Die beiden Männer waren bereits durch die Tür, als Fürstin Nius Stimme sie einholte.
»Warte, Eii -chan … Bringe ihn wieder her!« rief sie drängend und widerstrebend zugleich. Sie wollte sich anhören, was Sano zu sagen hatte – und hatte gleichzeitig Angst davor. »Woher wißt Ihr das?«
Wieder drückte Eii -chan Sano zu Boden, so daß er vor der Fürstin kniete. Sano erzählte ihr alles, was er wußte. Als er geendet hatte, reagierte die Fürstin zuerst nicht. Tief in Gedanken versunken, runzelte sie die Stirn, während Sano voller Spannung wartete. Was würde sie tun? Sano spürte, daß er nun die Chance hatte, sein Leben zu retten; doch er konnte nicht wissen, welchen Schritt er als nächsten tun mußte, solange er nicht wußte, welchen Schritt die Fürstin unternahm.
Schließlich hellte das Gesicht Fürstin Nius sich auf. »Ihr habt eine höchst beeindruckende Phantasie, Sano -san, daß Ihr Euch ein solches Märchen ausdenken könnt«, sagte sie, und ihr Lächeln kehrte wieder zurück. »Ich bin erstaunt, daß Ihr Euch sogar selbst davon überzeugen konntet, daß es diese Schriftrolle tatsächlich gibt. Ihr wart von deren Existenz so überzeugt, daß Ihr Euer Leben aufs Spiel gesetzt habt und hierhergekommen seid, um diese Rolle zu stehlen.«
Sano wurde es eng in der Brust, als er bemerkte, daß Fürstin Niu die Zweifel an ihrem Sohn besiegt hatte. Doch er ließ sich seine Bestürzung nicht anmerken.
»Woher wollt Ihr wissen, daß diese Schriftrolle nicht existiert?« sagte er. »Wie könnt Ihr Euch so sicher sein, daß Euer Sohn diese Rolle nicht besitzt? Weshalb, glaubt Ihr, begibt er sich im Winter in die Sommervilla?«
Sano mußte wider seine Natur und Erziehung handeln, die ihn gelehrt hatte, die Frau eines mächtigen Daimyō mit Respekt anzureden, als er ihr nun derart scharfe Fragen stellte. Doch er wurde durch die aufkeimenden Zweifel belohnt, die sich plötzlich in Fürstin Nius Augen spiegelten.
»Laßt uns in die Kammer des jungen Fürsten gehen und nach der Rolle suchen«,
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