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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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jemandem, der sich vor oder hinter ihm auf dem Gehweg befand? An jeder Abbiegung blieb Sano für kurze Zeit stehen und lauschte; doch er durfte sich nicht allein auf sein Gehör verlassen.
    Endlich erschien ein Tor im Zaun. Sano blieb daneben stehen, dicht an die Wand gedrückt, und stieß an den Torflügel. Der Flügel schwang auf und knarrte dabei so laut, daß Sano zusammenzuckte. Vorsichtig spähte er durch eine Lücke im Zaun und erblickte einen großen Garten, der an drei Seiten von Gebäuden mit langen, überdachten Veranden umgeben war. Eine einzelne Laterne über jedem Türeingang warf schwaches Licht auf den Teich, auf Sträucher und das Gartenhaus. Keines der Fenster war erleuchtet. Sano konnte nichts entdecken, was ihm einen Hinweis hätte geben können, in welchen Zimmern der junge Fürst Niu wohnte. Es konnte sogar sein, daß diese Zimmer nicht für die Nius, sondern für hochrangige Gefolgsleute bestimmt waren. Doch selbst wenn Fürst Nius Unterkünfte sich irgendwo anders befanden – falls Sano ins Gebäude eindringen konnte, hatte er Zugang zu allen Flügeln und Zimmern der Villa.
    Die Bäume und Sträucher im Garten gewährten ihm Sichtschutz, als er sich jenem Gebäude näherte, das ihm am nächsten war. Als er die Veranda erreicht hatte, versuchte er, die erstbeste Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. Er rüttelte am Griff; dann zerrte er mit aller Kraft daran. Er wußte, daß gerade in den teuersten Häusern die Türschlösser oft leicht zu knacken waren. Weshalb sollte man viel Geld für schwere Schlösser verschwenden, wenn Patrouillen in regelmäßigen Abständen über das Gelände streiften und für ein weitaus höheres Maß an Sicherheit sorgten? Doch die Tür gab nicht nach. Auch Sanos Bemühungen, sie aufzubrechen, schlugen fehl: Die Spitze seines Schwertes ließ sich nicht in den haarfeinen Spalt zwischen Türblatt und Rahmen drücken. Er versuchte sein Glück ebenso erfolglos bei drei weiteren Türen; dann wandte er sich den Fenstern zu.
    Sie waren mit dünnen, engmaschigen Holzgittern versehen. Sano wählte jenes Fenster aus, das am weitesten von den erleuchteten Türeingängen entfernt war, und benutzte sein Schwert, um das Holzgitter zu zerbrechen. Die Stangen zerbarsten mit scharfem, hellem Knall. Sano hoffte, daß jeder, der sich im Innern des Gebäudes aufhielt, diese Geräusche mit denen explodierender Feuerwerkskörper verwechselte. Er schnitt und riß ein gezacktes Loch in die Fensterscheibe aus Papier und blickte hindurch.
    Ein menschenleerer Flur führte an einer Reihe geschlossener Türen in einer Wand aus Papier und Holz vorüber. Immer noch das Schwert in der Faust, stieg Sano durchs Fenster. Verstohlen schlich er den Flur hinunter und schob eine der Türen auf. Dahinter lag ein weiterer Flur, dunkler, ebenfalls leer und dem Zentrum des Gebäudes näher. Auch hier befanden sich Türen auf der einen Seite. Als Sano diesen Flur betrat, verebbte seine Hochstimmung darüber, daß er in die Villa eingedrungen war.
    Der blumige Duft von Parfum lag in der Luft. Im nächstgelegenen Zimmer sah Sano die dunklen Umrisse von Möbeln, bei denen es sich um Truhen und Schminktische zu handeln schien. Das schwache Licht der Lampen über den Türeingängen wurde von einem hohen Spiegel reflektiert und schimmerte auf den seidenen Falten abgelegter Kimonos, die unordentlich auf dem Fußboden lagen. Sano erkannte, daß er sich in den Frauengemächern befand. Langsam und vorsichtig, den Rücken dicht an die Wand gepreßt, bewegte er sich seitwärts, auf den Zehenspitzen, den Flur hinunter, auf der Suche nach einem Weg, der in die anderen Flügel der Villa führte.
    Die Dunkelheit verstärkte die Geräusche. Jedes noch so leise Knarren der Fußbodendielen unter Sanos Füßen explodierte in seinen bis zur Überempfindlichkeit geschärften Ohren. Auch andere Laute – die Geräusche des Hauses oder ein Ruf von irgendwo auf dem Anwesen – ließen ihn zusammenzucken.
    Plötzlich erstarrte er. Ein flackernder, verschwommener Fleck aus Licht bewegte sich den Flur hinunter auf ihn zu. Das Licht stammte von einer Öllampe, die ein junges Mädchen trug, welches in Strümpfen lautlos über die Bodendielen ging. Als das Mädchen näher kam, konnte Sano ihr Gesicht erkennen, das über der Flamme erstrahlte. Jeden Augenblick mußte sie ihn entdecken.
    Sano wandte sich um und wollte den Rückzug antreten, als plötzlich irgendwo vor ihm eine Tür aufgeschoben wurde. Schritte näherten sich. Sano wurde der

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