Der Kirschbluetenmord
schlug er vor. »Möchtet Ihr mir nicht gern beweisen, daß ich im Irrtum bin – falls Ihr dazu imstande seid?«
Sano hatte darauf gesetzt, daß Fürstin Niu einer direkten Herausforderung nicht aus dem Wege ging. Sie enttäuschte ihn nicht.
»Also gut«, sagte sie, plötzlich wieder hochmütig und verächtlich. »Dann laßt uns jetzt sofort gehen. Und sobald dieses fruchtlose Unternehmen vorüber ist, wird Eii -chan dafür sorgen, daß Ihr doppelt dafür leidet, meine Zeit verschwendet und in einem so rüden Tonfall zu mir gesprochen zu haben.« Sie erhob sich und nahm eine Lampe.
Die Gemächer Fürst Nius befanden sich in einem freistehenden Haus auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens. Sano folgte der Fürstin ins Gebäude hinein, wobei Eii -chan dicht hinter ihm blieb und die Stricke hielt, mit denen Sanos Handgelenke gefesselt waren. Fürstin Niu schob eine Tür auf.
»Führe ihn hinein, Eii -chan «, rief sie über die Schulter, als sie das Zimmer betreten hatte.
Sano war erstaunt, wie klein und schmucklos das Zimmer war; überrascht betrachtete er die kahlen weißen Wände und das offene Gebälk an der Decke. Dieses Zimmer war vollkommen anders als alles, was er bislang von der Villa gesehen hatte. Der winzige, karge Raum hatte Ähnlichkeit mit einer Mönchszelle. Selbst im trüben Licht der Lampe, die Fürstin Niu hielt, konnte Sano den rissigen Putz erkennen, die abgenutzten Stellen auf den Tatami und die Flicken auf der papierenen Fensterscheibe. Es war sehr kalt im Zimmer, doch nirgends war ein Kohlebecken zu sehen. Sano hätte damit gerechnet, daß der Sohn eines Daimyō in einer Umgebung wohnte, die seinen Reichtum widerspiegelte. Doch er mußte zugeben, daß dieses Zimmer perfekt Fürst Nius Lebensauffassung entsprach: Als augenfälliger Protest gegen die Genußsucht spiegelte die Kargheit dieses Zimmers die Tugenden eines Kriegers wider, die Fürst Niu zu erlangen strebte.
»Und nun werde ich Euch zeigen, daß Ihr Euch in meinem Sohn irrt«, sagte Fürstin Niu. Ihre Stimme klang ein wenig zu fröhlich, so, als wollte sie sich selbst überzeugen, indem sie Sano überzeugte. Sie stellte die Lampe zu Boden und öffnete die Schränke, die an einer Wand des Zimmers standen.
Im Schrank waren nur sehr wenige Gegenstände untergebracht – Bettzeug aus Baumwolle, Toilettenartikel und einige der schlichten schwarzen Kimonos, wie der junge Fürst sie bevorzugte. Neben dem Schrank standen zwei Truhen; in der einen befanden sich Bücher, in der anderen Schreibzeug. Fürstin Niu lächelte, als sie mit übertriebenen Gesten den Schrank durchsuchte, doch ihre Hände zitterten. Als sie dann in den Kisten nachsah, schauderte sie, als würde sie jeden Augenblick damit rechnen, daß eine Schlange daraus hervorzuckte.
Sano beobachtete die Fürstin schweigend. Er bemerkte, daß er vor Spannung die Luft anhielt, und atmete aus. Was war, wenn Fürstin Niu die Schriftrolle nicht fand? Und was war, falls sie die Rolle fand? Daß er die Fürstin dazu gebracht hatte, im Zimmer ihres Sohnes nachzuschauen, war vielleicht doch nicht der kluge Schachzug gewesen, für den Sano ihn anfangs gehalten hatte. Denn ob sie die Rolle nun fand oder nicht – bestrafen mußte sie ihn so oder so. Sano brach der kalte Schweiß aus. Er biß die Zähne zusammen, um in der kalten Luft nicht zu zittern. Die Schmerzen in seiner Schulter wurden schlimmer.
Fürstin Niu beendete die Durchsuchung des letzten Teils des Schrankes: ein Regal mit Unterkleidung. Sie holte jedes Kleidungsstück kurz hervor, strich geistesabwesend über den Stoff, und legte es wieder zurück. Schließlich richtete sie sich auf und breitete die leeren Hände aus.
»Sehr Ihr?« sagte sie mit unüberhörbarer Erleichterung und einem aufrichtigen Lächeln. »Diese Schriftrolle, von der Ihr erzählt habt, gibt es nicht. Ebensowenig den Beweis für irgendeine Verschwörung.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, und ihr Lächeln schwand. »Ihr habt meinen Sohn und mich beleidigt. Dafür werdet Ihr teuer bezahlen.« Mit einem raschen Blick gab sie ihrem Diener ein Zeichen. » Eii -chan. Beginne.«
Als Eii -chan an den Fesseln ruckte und den Gefangenen zur Tür zerrte, warf Sano einen letzten verzweifelten Blick auf den Schrank. Plötzlich sah er etwas, das ihm vorher nicht aufgefallen war, und neue Hoffnung keimte in ihm auf.
»Schaut doch, ehrenwerte Fürstin!« rief er. »Dort – im Schrank. Eine Stelle habt Ihr übersehen. Die Holzplatte! Seht Ihr sie denn
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