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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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eine Bemerkung zu machen, die sich unmittelbar auf den Tod bezog. Er mußte sich behutsam an dieses Thema herantasten, nachdem er den Förmlichkeiten Genüge getan hatte.
    »Ich nehme Eure Gabe mit tiefem Dank entgegen.« Die Stimme der Fürstin war heiser, aber melodiös. Die Trauer, die sie über den Tod Yukikos empfinden mochte, verbarg sie hinter der Fassade ruhiger Gelassenheit, wie es die Konvention verlangte. Sie neigte leicht den Kopf; dann blickte sie zur Wand zu ihrer Linken. »Eii -chan?«
    Erst jetzt bemerkte Sano die anderen Personen im Zimmer. Die Gestalt, die sich ihm näherte, war beileibe kein Kind, worauf die Verkleinerungsform chan hätte schließen lassen, sondern ein hünenhafter, kräftiger Mann mit einem derben, pockennarbigen Gesicht. Als Sano die ausdruckslose Miene des Mannes sah, glaubte er zuerst, daß es sich um einen geistig zurückgebliebenen Diener handelte, der sich aus irgendwelchen Gründen im Frauengemach und in der Nähe der Fürstin aufhalten durfte; vielleicht aus Gründen der Pflicht oder aus Sentimentalität seitens der Fürstin. Doch die schweren schwarzen Seidenumhänge und die zwei kunstvollen Schwerter ließen erkennen, daß Eii -chan zu den hochrangigsten Gefolgsleuten des Daimyō zählte. Außerdem sah Sano das Aufblitzen wacher Intelligenz – lauernd und abschätzend – in den kleinen Augen des Mannes, als ihre Blicke sich für einen Moment trafen. Ohne ein Wort zu sagen, hielt Eii -chan dem Besucher ein Tablett hin, um dessen Geschenk entgegenzunehmen und ihm die traditionelle Gegengabe zu überreichen: eine verzierte Zündholzschachtel. Dann brachte Eii -chan das Tablett an einen Tisch neben der Tür, stellte Sanos Geschenk zu den anderen und nahm wieder seinen Platz in der Nähe der Fürstin ein.
    »Fürst Nius Töchter«, sagte die Fürstin und wies mit einem Kopfnicken auf einen strohgeflochtenen Wandschirm auf der rechten Seite des Zimmers.
    Durch das dichte Gitterwerk konnte Sano zwei schemenhafte Gestalten erkennen. Ansonsten sah er nichts von den jungen Frauen; nur ein roter, zusammengefalteter Kimono lag neben dem Schirm auf dem Fußboden. Noch während Sano diesen Kimono betrachtete, zuckte eine Hand hervor und zog ihn hinter den Schirm. Sano fiel auf, daß die Fürstin nicht »meine Töchter«, sondern »Fürst Nius Töchter« gesagt hatte. Demnach mußte es sich um die Töchter von Konkubinen handeln, die der Fürstin in Obhut gegeben waren.
    »Wie ich hörte, ist Euer Besuch eine offizielle Angelegenheit, die Yukiko betrifft«, sagte Fürstin Niu.
    »Ja.« Sano war froh, daß die Fürstin dieses Thema zuerst angeschnitten hatte. »Bedauerlicherweise muß ich Euch mit einigen Fragen belästigen.«
    Fürstin Niu schlug die Augen nieder und gab damit zu verstehen, daß sie einverstanden war. Ihre Miene spiegelte friedliche, ja heitere Gelassenheit wider, wie das Gesicht einer königlichen Schönheit auf einem alten Gemälde.
    Sano hatte sich seine Fragen sorgfältig zurechtgelegt, denn er durfte sich nicht anmerken lassen, daß er insgeheim Ermittlungen in einem Mordfall anstellte, und er mußte vermeiden, die Nius auf irgendeine Weise zu beleidigen. Außerdem war er sich bewußt, daß die Töchter des Fürsten hinter dem Wandschirm lauschten; zweifellos waren sie begierig darauf, geheimes, verbotenes Wissen zu erfahren.
    Statt die Fürstin direkt zu fragen, ob sie der Meinung sei, daß der shinjū in Wahrheit ein Selbstmord gewesen war, stellte Sano die vorsichtige Frage: »Hat Euch die Art und Weise des Ablebens der ehrenwerten Yukiko überrascht?«
    »Ja, gewiß …«, erwiderte Fürstin Niu und hielt kurz inne. »Aber rückblickend muß ich gestehen, daß es bedauerlicherweise Yukikos Charakter entsprach.«
    Erschrecktes Keuchen erklang hinter dem Wandschirm, jedoch so leise, daß Sano es kaum vernehmen konnte.
    Fürstin Niu hörte die Geräusche offensichtlich nicht – oder wollte sie nicht hören. »Viele junge Mädchen werden zu sehr vom Theater beeinflußt, yoriki Sano«, sagte sie, »wie Ihr gewiß dem Bericht entnommen habt, den Magistrat Ogyū Euch gezeigt hat. Ihr seid neu im Polizeidienst, nicht wahr?«
    »Ja, das stimmt.« Ihre Bemerkung traf Sano völlig unerwartet, denn er war davon ausgegangen, daß nur Personen, die sich von Berufs wegen mit derartigen Angelegenheiten beschäftigten, seine Identität kannten und wußten, daß man ihn mit dem Fall des shinjū betraut hatte. Daß Fürstin Niu zu diesen Personen zählte, hatte er nicht

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