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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Kuroda veranstaltet hat.« Sie wies mit dem Kopf in Richtung des benachbarten yashiki. »Niemand hat Yukiko vermißt«, fügte sie hinzu. »Die Aufführung hat ziemlich spät geendet.«
    Masahito stieß ein schallendes Lachen aus. »›Ziemlich spät‹? Das dürfte wohl untertrieben sein, Mutter.« An Sano gewandt, fuhr er fort: »Wir waren bis zum Morgengrauen fort. Da wundert es wohl kaum, daß niemand sich die Mühe gemacht hat, einmal nachzusehen, wer sich wo aufgehalten hat, als wir nach Hause kamen. Würdet Ihr mir da zustimmen?«
    »Ja.« Sano fühlte sich zunehmend entmutigt. Die Nius hatten ihm bislang keinerlei Hinweis gegeben, den er Magistrat Ogyū gegenüber als Beweis für seine Mordtheorie hätte anführen können. Und nun gingen Sano die Fragen aus.
    Masahito beugte sich zu ihm vor; in seinen fiebrig glänzenden Augen lag ein nachdenklicher Ausdruck. »Wenn man Eure Fragen genauer betrachtet, yoriki, könnte man beinahe glauben, daß Ihr der Meinung seid, Yukiko wurde ermordet. Denn wie mir scheint, wollt Ihr herausfinden, ob jemand sie getötet hat oder zumindest einen Grund dafür gehabt hätte, sie zu ermorden, und ob wir den Betreffenden kennen.« Fragend hob er eine Braue. »Ja? Nein?«
    Sano schwieg. Er war bestürzt, daß der junge Fürst ihn so leicht durchschaut hatte. Doch er zwang sich, dem Blick des jungen Mannes standzuhalten. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Fürstin Niu nervös das Gewicht verlagerte, doch sie mischte sich nicht ein.
    »Aber Yukiko hat Selbstmord begangen«, fuhr Masahito fort; sein Grinsen verwandelte sich in ein breites Lächeln, so daß seine makellosen Zähne zu sehen waren. »Deshalb besteht kein Grund, weitere Fragen zu stellen, nicht wahr?« Sein Tonfall deutete an, daß er das Gespräch als beendet betrachtete.
    Sano hatte keine andere Wahl, als sich von den Nius zu verabschieden und dem Wächter durch den Flur in den Hauptempfangsraum zu folgen. Die Enttäuschung lastete schwer auf ihm, als er am Ausgang der Halle seine Schwerter und Sandalen in Empfang nahm. Er hatte bei seinem Besuch kaum etwas Brauchbares erfahren – im Grunde nur, daß Fürstin Niu und ihr Sohn Yukikos Tod offenbar eindeutig als Selbstmord betrachteten. Aber geschah das nicht ein bißchen zu schnell? Und zu bereitwillig? Wollten die Fürstin und ihr Sohn verhindern, daß Nachforschungen darüber angestellt wurden, ob Yukikos Tod nicht doch ein Mord gewesen war, weil in diesem Fall die ganze Familie in Gefahr geriet? Sano ließ seiner Phantasie freien Lauf. Wenngleich Eifersucht und Rivalität auch in den vornehmsten Familien einen Mord provozieren konnten, hatte er keinen Grund zu der Annahme, daß einer von Yukikos eigenen Verwandten mit ihrem Tod zu hatte. Die Spannungen, die Sano im Hause des Daimyō beobachtet hatte, wurden vermutlich aus einer anderen Quelle gespeist. Das weinende Hausmädchen, das Entsetzen der Töchter und Masahitos versteckter Hinweis auf einen Feind, den es in Yukikos Vergangenheit gegeben hatte, deuteten nicht zwangsläufig in eine andere Richtung.
    Als der Wachtposten Sano zum Tor führte, blieb der Mann stehen, um sich mit einem anderen Wächter zu unterhalten, der ihnen auf dem Fußweg durch den Garten begegnete. Während Sano wartete, fragte er sich, ob er mehr Erfolg haben würde, wenn er die Familie Noriyoshis befragte.
    Plötzlich erklang ein melodisches Pfeifen, und Sano drehte den Kopf. Es war kein Vogelgesang gewesen, sondern ein paar Takte einer klassischen Melodie.
    Sano blickte sich um. Von den beiden Wächtern und ihm selbst abgesehen, war der Garten menschenleer. Die geschlossenen Fenster der Kasernengebäude ringsum starrten Sano wie blinde Augen an.
    »Herr!« flüsterte eine drängende Stimme. »Herr!«
    Plötzlich erblickte Sano ein Gesicht, das aus einem Türeingang der Villa spähte, welcher sich in der Nähe des Haupteingangs befand. Es war das Gesicht eines jungen Mädchens; ihr langes, glattes Haar war in der Mitte gescheitelt und flatterte im Wind.
    »Ich muß Euch etwas sagen«, zischte das Mädchen. »Kommt mit. Rasch!« Hastig hob sie die Hand und winkte ihm, und Sano erhaschte einen Blick auf ihren Kimono. Er war von roter Farbe – wie der zusammengefaltete Kimono, den er neben dem Wandschirm im Zimmer der Fürstin gesehen hatte.
    Das Mädchen verschwand im Türeingang. Sano zögerte. Was würde mit ihm geschehen, falls er dem Mädchen folgte und entdeckt wurde? Es hatte Fälle gegeben, da Männer schon wegen des bloßen Verdachts,

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