Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
Leid verliehen ihm ein jammervoll-komisches Aussehen. Sano unterdrückte ein Lächeln, als Tsunehiko mit trauriger Stimme fortfuhr: »Außerdem fühle ich mich einsam. Ich habe hier keine Freunde. Niemand kann mich leiden.«
    Angesichts dieser Vermischung kindlicher Sorgen mit den Kümmernissen eines Erwachsenen wäre Sano vor Erheiterung beinahe in lautes Gelächter ausgebrochen. Doch er sah ein, daß Tsunehiko recht hatte: Bislang war er seinem Schreiber ein schlechter Mentor gewesen; er hatte dem Jungen nur wenige wichtige Aufgaben erteilt und dessen Trägheit und Fehler hingenommen. Der Lehrer in Sanos Innerem aber spürte noch immer die Verantwortung, einen jungen Menschen zu unterweisen, der ihm anvertraut war. Plötzlich beschämte es ihn, diese Verantwortung so lange ignoriert zu haben.
    »Von heute an werden wir enger zusammenarbeiten, Tsunehiko«, sagte er. »Ich werde dir alles beibringen, was ich dich lehren kann.« Und allen Ärger schlucken, den du mir machen wirst, fügte er in Gedanken hinzu.
    Tsunehikos Kopf bewegte sich langsam auf und ab, und er zeigte ein zögerliches Lächeln.
    Sano erwiderte das Lächeln, erheitert und verärgert zugleich bei dem Gedanken an das Bild, das sie beide jetzt abgaben: ein yoriki, der von den Amtskollegen geschnitten wurde, und ein melodramatischer junger Jammerlappen, welche sich zu einem lächerlichen Gespann zusammengetan hatten.
    Sano schüttelte diesen Gedanken ab, wechselte das Thema und brachte die Angelegenheit zur Sprache, die ihn beschäftigt hatte, als er in die Schreibstube gekommen war.
    »Hast du die Anschriften, die du für mich heraussuchen solltest?« fragte er.
    Bevor Sano sich an diesem Morgen zum Anwesen der Nius begeben hatte, hatte er Tsunehiko gebeten, die Adressen von Noriyoshis Wohnung und Arbeitsplatz aus den Akten des Tempelverzeichnisses und den Unterlagen der Künstlergilde herauszusuchen. Da es Sano nicht gelungen war, den Nius Informationen über eine mögliche Ermordung Yukikos zu entlocken, war die Befragung der Verwandten Noriyoshis von entscheidender Wichtigkeit. Sano hoffte inständig, daß Tsunehiko wenigstens diese einfache Aufgabe hatte lösen können.
    »Jawohl, yoriki Sano -san !« verkündete der Schreiber strahlend und schien mit einem Schlag wieder zu dem fröhlichen Dicken zu werden, als den Sano ihn kannte. Hastig nahm Tsunehiko ein Blatt Papier von seinem Schreibpult und reichte es mit einer schwungvollen Bewegung seinem Vorgesetzten.
    Angestrengt entzifferte Sano die riesigen, ungelenken Schriftzeichen Tsunehikos:
     
    Noriyoshi, Künstler
    Kunsthandlung Okubata
    Straße der Galerien
    Yoshiwara, Edo
     
    »Yoshiwara.« Langsam und nachdenklich las Sano laut den Namen dieses Stadtbezirks. Yoshiwara war das von Mauern umgebene Vergnügungsviertel Edos, unweit des Flusses in den nördlichen Randgebieten gelegen. Dort war Prostitution jeder Art erlaubt. Dort wurden Essen und Trinken und eine Vielzahl von Unterhaltungen geboten: Theater, Musik, Glücksspiel, Einkaufsbummel und andere, weniger harmlose Vergnügungen. Dies alles bot Yoshiwara jedem im Übermaß, der dafür zu zahlen bereit war.
    Ursprünglich hatte man das Gebiet »Wiese des Schilfs« genannt – nach dem sumpfigen Grund und Boden dieser Gegend. Dann hatte der gerissene Besitzer eines Vergnügungsbetriebs die Schriftzeichen so verändert, daß aus der »Wiese des Schilfs« die »Glückswiese« geworden war, und dieser Name hatte sich eingebürgert. Eine weitere Bezeichnung lautete »Stadt ohne Nacht«: Yoshiwara schlief nie.
    »Noriyoshi hat in ein und demselben Haus gewohnt und gearbeitet«, erklärte Tsunehiko. »In beiden Unterlagen stand die gleiche Anschrift. Und Okubata war sein Arbeitgeber.«
    »Verstehe.« Gemäß den Regeln, die das traditionelle Lehrer-Schüler-Verhältnis bestimmten, lobte Sano seinen Schreiber nicht für die gute Arbeit, die er geleistet hatte. Doch er konnte ihm eine Belohnung zukommen lassen. Und der gegenwärtige Zeitpunkt war für Sano am besten geeignet, sein Versprechen einzulösen und Tsunehiko an den Untersuchungen zu beteiligen. Der Junge würde sich zwar als Klotz am Bein erweisen, doch Sano war sicher, damit fertig zu werden …
    »Würde es dir gefallen, mich nach Yoshiwara zu begleiten und mir bei den Nachforschungen über Noriyoshi zu helfen?«
    »Oh, ja! Vielen Dank, yoriki Sano -san !« Vor Freude sprang Tsunehiko so begeistert auf, daß er sein Schreibpult umstieß, so daß Papiere und Schreibfedern durchs Zimmer

Weitere Kostenlose Bücher